Bruce McLaren, schau herab von deiner Wolke!

Ein Tracktest mit dem wilden, fantastischen und supertollen McLaren 750S zeigt unserem Autor schnell die Grenzen seines Talents auf. Er weiß nun ein für allemal: Er ist nicht der Lauda.

Ich wurde als Ferkel geboren und als Schwein groß. Also werde ich hier fahren wie die ärgste Sau. Das ist ja nur logisch. Und wozu ist man denn auf einer Rennstrecke? Vom Circuito do Estoril nahe Lissabon ist die Rede. Als Österreicher (der ich bin) kriegst du da Gefühle. Niki Lauda gewann hier am 21. Oktober 1984 sein drittes Championat – in einem McLaren. Ein Thriller, die knappste WM-Entscheidung in der Geschichte der Formel 1: Nur ein halber Punkt Vorsprung auf Alain Prost. Hauptsponsor Marlboro hatte schon Poster mit dem französischen Teamkollegen als Weltmeister drucken lassen. Damit konnten sie sich dann schön den Hintern abwischen.
Ich stehe in der Boxengasse. Neben mir kauert in Bauchnabelhöhe der McLaren 750S, Wokings letzter reiner Verbrenner. Ich lasse die Scherentür hochschwingen, zwänge mich in die Carbon-Vollschale, schließe den Fünf-Punkt-Gurt, setze den Sturzhelm auf und umklammere das Lenkrad. Freunde, ein Lenkrad nur zum Lenken! Ohne Knöpfe und weiß der Teufel was, dass es so etwas überhaupt noch gibt, wie schön. Bruce McLaren, schau herab von Deiner Wolke, es hat sich nichts verändert! Naja. Im Geist spreche ich die folgenden Worte: „Jetzt bin ich der Lauda. Macht‘s euch auf was gefasst.“ (Mach du dich lieber auf was gefasst.) Ich bin nicht allein in dem Supercar. Neben mir sitzt Jamie, McLaren-Testdriver mit GT3-Erfahrung. Er wird aufpassen, dass ich keine Blödheiten mache. Während wir langsam die Boxengasse hinausrollen, fragt er mich: „Was war das Schärfste, das du je gefahren bist?“ Ich muss nicht lange überlegen: „Der Ferrari 333SP, offener Prototyp, Siegerwagen von Daytona und Sebring.“ – „Und?“ – „Hm, um ehrlich zu sein: Ich fuhr ihn wie ein altes Weib, auf dem Red Bull-Ring.“ – „Warum das?“ – „Die Kiste hatte einen Wert von mehr als zehn Millionen Euro. Hätte ich sie zerstört, der Besitzer hätte mich noch an Ort und Stelle gelyncht, zur Not mit seinem Schweizer Taschenmesser.“ – „Verstehe. Und was war das Zweitschärfste?“ – „Der Le Mans-Porsche 911 RSR.“ – „Bist du den auch gefahren wie ein altes Weib?“ – „Nein, wie ein junger Gott.“ – „Na gut, ich will dir mal glauben, dann lass fliegen jetzt.“

Der Bomber klebt wie Pattex
Klare Ansage. Beim Hinausbeschleunigen auf die Strecke spüre ich einen Knüppel im Kreuz. Turbolöcher sind ein überwundener Gendefekt. Das Höllentheater geht schon aus dem Stand los. Der enorme Durchzug peitscht die Drehzahl in Nullkommanix bis in den Begrenzer auf 8.500 hoch. Mit den Paddels immer einen Gang weiter. Alles fliegt wie im Zeitraffer auf mich zu: Kurven, Leitplanken, Tribünen, Streckenposten. Ich habe diesen umwerfenden Tunnelblick und lasse mich viel zu schnell mitreißen von dem Irrsinn. Denk mir noch: Der Bomber klebt eh wie Pattex auf der Piste mit der Pirelli P Zero Trofeo R-Bereifung. Es passiert, was passieren muss: Ausgangs einer Linkskurve bin ich eine halbe Sekunde zu früh am Gas. Der Mittelmotor-Hecktriebler folgt seinem Urinstinkt. Hinten macht es plötzlich einen wilden Schlenker nach rechts: „Verdammte Kanaille!“ Weil ich in einem Anfall von Größenwahn die variable Driftkontrolle mit dem extremsten Winkel aktiviert habe, läuft der Engländer an der langen Leine. Durch zu spätes Gegenlenken wirkt die Aktion eher peinlich. Immerhin wird ein Abflug dank eingeschaltetem ESP verhindert. „Keep cool“, sagt Jamie, „er wollte dir nur zu verstehen geben, wer hier der Chef ist.“ Um es auf den Punkt zu bringen: Ich bin nicht der Erste, der in einem McLaren seine Fahrkünste grob überschätzte, oh nein! So mancher erinnert sich vielleicht noch, was am 29. Mai 1995 auf einer beschaulichen Landstraße in der Nähe des Chiemsees geschah: Der damalige BMW-Häuptling Pischetsrieder überschlug sich dort mehrmals mit dem McLaren P1, seinerzeit schnellster und teuerster Serienwagen der Welt (390 km/h Spitze, Preis: umgerechnet 1,5 Millionen Euro). Was für die Bayern, die das V12-Triebwerk lieferten, die reinste Blamage war, konnte für die Engländer nur allerbeste Werbung sein. Die Botschaft lautete: Der McLaren F1 – nichts für Amateure.
Der 750er klingt eine Spur schärfer als sein Vorgänger, der 720er – liegt an der mittig zentrierten Auspuffanlage (inspiriert vom 2013 bis 2015 gebauten McLaren P1). Die volle Dröhnung vermittelt er aber nicht. Britisches Understatement. Sie könnten ja, wenn sie wollten. Nur überlassen sie die großen Klangorgien gern den Italienern. Treffend wird ein Motoreningenieur nachher sagen: „Die haben ja auch immer schon die besseren Arien komponiert.“ Und sonst, was unterscheidet den 750er noch vom 720er? Das Meiste ist nicht wirklich neu, an der Substanz des Vorgängers wurde nur dezent modelliert. Man stelle sich Auguste Rodin sinnierend an seinem „Denkmal für Balzac“ vor, und wie er dann sagt: „Da geht mehr.“ Heißt konkret: Verlängerter Frontsplitter und um 20 Prozent vergrößerter aktiver Heckflügel für mehr Abtrieb. Vorne sechs Millimeter Spurverbreiterung für mehr Grip. Andere Belüftungsöffnungen an den hinteren Radkästen für mehr aerodynamischen Effekt. Mehr PS, sprich 30, hat er natürlich auch, also 750 (wie der Name schon sagt). Und selbstverständlich steht mehr Drehmoment zur Verfügung: 800 Nm statt bisher 770. Dreißig Kilo leichter ist er (1.389) und das modifizierte 7-Gang-Getriebe sorgt für schnelleren Durchzug. Von 0 auf 300 km/h vergehen keine 20 Sekunden. Anders gesagt: Man ist, was den Zivilverkehr betrifft, in der letzten Zone des physikalisch Machbaren angekommen. Doch jetzt beginnen sie, an der Grenze des physikalisch Denkbaren zu kratzen. Irgendwo musste es aber doch Abstriche geben: Neun km/h langsamer ist er als der Vorgänger. „Nur“ 332 statt 341 – dem erhöhten Abtrieb und der kürzeren Übersetzung geschuldet.
Egal, der 750S kommt einem Racecar näher als alle seine Gegner (Ferrari 296 GTB, Porsche 911 GT3 RS, Lamborghini Huracan STO). Nicht nur mit seinem brutalen Antritt entflammt er das Herz von uns Bleifuß-Indianern. Lenken, Schalten, Bremsen – alle Befehle setzt er mit einer feinnervigen Direktheit um, die ihresgleichen sucht. Beim Einlenken in das enge Bergaufstück im letzten Streckendrittel kommt mir plötzlich ein absurder Gedanke: Bringt mir einen Blinden her. Setzt ihn in die Beifahrerschale. Ich will nur eine einzige schnelle Runde mit ihm fahren. Danach möchte ich ihn fragen: „Nun sag, worin sitzt du gerade?“ Er soll nur nicht antworten: „In einem Sportwagen.“ Dann ist er kein Blinder, sondern ein Simulant. Der wahre Blinde würde sagen: „In einem Rennwagen.“ Er würde, wenn er absolut nichts sieht und den McLaren nur spürt, nie im Leben auf die Idee kommen, dass an dem Auto Nummerntafeln dran sind.

Für alle Fälle: Bevor es ernst wird, greifen wir nach dem weißen Bell-Sturzhelm. Der McLaren-Schriftzug darauf macht uns extra-scharf.

Kannibalische Tempovertilgung
Meine Rundenzeiten verbessern sich. Irgendwann nehme ich so viel Schwung aus der Zielkurve mit, dass ich am Ende der langen Geraden rund 300 km/h auf dem Tacho habe. Vor der anschließenden Rechtskurve weißt du dann, warum der Wagen mit dem (nicht serienmäßigen) Verzögerungsapparat des McLaren Senna ausgestattet ist (größere Keramikscheiben und Monoblock-Bremssättel). Kannibalische Tempovertilgung – zusätzlich unterstützt vom aktiven Heckspoiler, der bei Topspeed-Bremsfunktion in weniger als einer Sekunde vollständig ausfährt. Der McLaren geht gefühlt keinen Millimeter in die Knie. Und pfeffert dann, wenn du ihm richtig Futter gibst, leichtfüßig und aggressiv aus der Kehre. Bloß nicht zu viel Futter! Die Massen (Motor, Gebtriebe) sind dicht um den Drehpunkt konzentriert. Der Grenzbereich kündigt sich nicht an. Er ist einfach da und du bist geliefert, wenn du Bernd Pischetsrieder heißt. Ich nutze die Curbs als erweiterte Fahrbahn, fühle mich immer sicherer, gewinne mehr und mehr Vertrauen in den Mäci. Ein Überschreiten der Haftgrenze scheint mir jetzt nahezu unvorstellbar. Die linear zur Geschwindigkeit ansteigende Downforce lässt dich glauben, du könntest bei 280 rechtwinklig abbiegen – als würde die unsichtbare Hand eines mythischen Riesen den Wagen auf die Straße drücken und um jede Biegung manövrieren. Der niedrige Schwerpunkt und die ausgeglichene Gewichtsverteilung zwischen den Achsen, ergeben eine perfekte Balance. Das Handling des Leichtgewichts ist von einem anderen Stern. Die zwei Stints (je 20 Minuten), gehen viel zu schnell zu Ende. Jamie reckt den Daumen: „Well done.“
Im Fahrerlager stehen ein paar Spider-Modelle. Ein Mitarbeiter der McLaren-Presseabteilung fragt mich, ob ich nun Lust hätte, ein wenig durch den öffentlichen Straßenverkehr zu cruisen. Es würde ihn interessieren, was ich über die Alltagstauglichkeit des 750er zu sagen hätte. Im Navi sei eine schöne Route programmiert, Richtung Sintra. Gern doch. Ich steige ein, öffne das Dach und mache mich auf den Weg. Nach zwei Kilometern merke ich: Es geht nicht. Der Speed der vergangenen 40 Minuten glüht noch wie ein starkes Fieber bis in die letzte Faser meines Körpers. Auf der Landstraße könnte ich mich nicht zurückhalten. Ich wollte nicht enden wie Rene Arnoux: Im Januar 1987 wurde der damals für Ligier in der Formel 1 fahrende Franzose in einer Kleinstadt seiner Heimat geblitzt. Das Tempolimit betrug 60 km/h. Als sie ihn aufhielten, meinte der 149-fache Grand-Prix-Starter, er sei wohl knapp drüber gewesen, komme nicht wieder vor, es tue ihm natürlich leid. „Alors, Monsieur Arnoux“, sagte der Gendarm, „Sie haben eine interessante Sicht der Dinge. Wir haben Sie mit 247 Stundenkilometer gemessen. Das sind, wenn ich mich nicht irre, exactement 187 Stundenkilometer zu viel.“ Und weg war der Führerschein. Zu Arnoux‘ Verteidigung sei gesagt: Was sind schon 187 km/h für einen Formel-1-Fahrer? Der dachte am Ende tatsächlich, er sei nur knapp drüber gewesen.

Yeah, man kann ihn aber auch im öffentlichen Straßenverkehr fahren.
Unser Autor war dazu leider nicht in der Lage.

Ich bin für einen Moment sprachlos
Ich fahre also nicht ins Grüne, sondern zum Casino Estoril. Der Geheimdienstmitarbeiter und Schriftsteller Ian Fleming hatte dort in den Vierzigerjahren die Idee für James Bond und „Casino Royale“. Mit feindlichen deutschen Agenten spielte er „Chemin de fer“ und verlor meist. Deshalb ließ er Bond immer gewinnen. Da es keinen Dresscode gibt, komme ich ohne Sakko und Krawatte hinein. Ich gehe an den Roulettetisch und setze 100 Euro auf Rot. Ich gewinne und setze 200 Euro auf Schwarz. Ich gewinne abermals und setze 400 auf Rot. Wieder gewinne ich. Mit Jetons im Wert von 800 Euro setze ich mich an die Bar. Nach etwas mehr als einer Stunde, so lange hätte die Route nach Sintra gedauert, fahre ich wieder zurück zum Circuito. „Und, wie war’s?“, fragt mich der Pressemann. „Ich bin tief beeindruckt von seiner geschmeidigen Gangart im Komfort-Modus“, fange ich an. „Man erkennt ihn gar nicht wieder, ein Lamm geradezu, diese Verstellungskunst. Ich habe auch die Umgebung sehr genossen, eine wirklich malerische Landschaft voller Pinienwälder. Und Sintra, was für eine magische Stadt, der Palacio Nacional da Pena, das Castelo dos Mouros und die Quinta da Regaleira! Eine schönere Tour hättet ihr gar nicht auswählen können. Und das Navi hat mich immer richtig geführt.“ Der Mann holt sein Handy hervor und sagt mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Dann spinnt wohl das GPS. Es hat mir nämlich angezeigt, dass dein Wagen eine Stunde vor dem Casino stand.“ Ich bin für einen Moment sprachlos. „Eins zu null für dich“, sage ich dann. Nenne ihm den Grund und erzähle die Geschichte von Rene Arnoux. Er klopft mir auf den Arm: „Mach dich locker, ich verstehe dich zu tausend Prozent.“
Kurt Molzer
www.maclaren.de

Fotos: McLaren

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