Der kann auch Dreck

Die noch junge Offroad-Marke Ineos – fast noch ein Start-up – wagt sich auf neues Terrain. Mit dem Grenadier Quartermaster folgt ein stattlicher Pick-up, der sich für keine Drecksarbeit zuschade ist.

Es ist ein modernes Märchen. Fast zu schön, um wahr zu sein. Ein reicher britischer Geschäftsmann verliebt sich unsterblich in die – zugegeben – nicht mehr ganz junge Blechbraut Defender aus dem angesehenen Hause Land Rover. Als die Briten 2016 die Produktion der Offroad-Legende einstellen, bewirbt sich Sir Jim Ractliff, Gründer und Vorstand vom Chemiegiganten Ineos, um die Lizenzrechte. Erhält aber einen Korb nach dem anderen. Also beschließt Ratcliff, einen würdigen Nachfolger selbst zu bauen.
So entsteht der stattliche Grenzgänger Ineos Grenadier, benannt nach einem Londoner Pub, in dem der wohl reichste Mann Englands einst erste Skizzen auf einem Bierdeckel kritzelte. Magna Steyr aus Graz hilft maßgeblich bei der Entwicklung, gebaut wird der Eigenentwurf ab Anfang 2023 im ehemaligen Smart-Werk Hambach, das Ratcliff samt Belegschaft gleich mit übernimmt.
Mit dem Grenadier erschafft Ineos ein modernes Abziehbild, das die lange Geschichte des Defender ehrenvoll fortschreibt. Ein robuster Offroader, mit schwerem Leiterrahmen, unverwüstlichen Starrachsen und dem Versprechen, dass man mit diesem Auto einfach niemals stranden wird. Steil abfallende Fenster sowie glatte Karosserieflächen zeigen die optische Nähe zum ewigen Landy. Die Alu-Türen sind wie beim Spiritus Rector an Außenscharnieren aufgehängt und fallen satt ins Schloss, wenn man sie mit Nachdruck zuwirft, unter der vorderen Stoßstange steckt die serienmäßige Mobilitätsgarantie in Form einer Seilwinde.
Reihensechszylinder von BMW
Jetzt folgt Kapitel zwei des modernen Märchens: Der Ineos Grenadier Quartermaster. Ein bis zu drei Tonnen schwerer Pick-up für alle Fälle, der gegen so harte Kerle wie den Jeep Gladiator oder den Ford Ranger Raptor neues Terrain erobern will. Ideal für Forstbetriebe und Rettungsdienste oder für alle, die regelmäßig mit schwerem Gerät in unwegsames Gelände müssen. Wie beim Station Wagon gibt es die Wahl zwischen einem Diesel (183 kW/249 PS) und einem Benziner (210 kW/286 PS). Die Reihensechszylinder kommen von BMW, sind jeweils mit einer ZF-Achtgang-Automatik gekoppelt und haben beide Argumente auf ihrer Seite. Den Selbstzünder schiebt im Gelände dank seines Drehmoments von 550 Newtonmetern kräftiger an, sein Durst liegt mit einem Realverbrauch von etwa 12 Litern rund vier Liter unter dem des Benzin-Bruders. Der wiederum ist etwas sprintstärker, hat die besseren Manieren, läuft leiser und geschmeidiger. Eingepreist sind beide gleich, bei 72.640 Euro geht es los, die feine Trailmaster-Version startet ab 81.890 Euro, wer sich für den auf Extrem-Touren getrimmten Fieldmaster entscheidet, zahlt das Gleiche. Die Liste der Offroad spezifischen Extras ist so dick, wie früher die gelben Seiten.
Mit seinem amtlichen 5,44 Metern streckt sich der Quartermaster noch einmal 55 Zentimeter mehr in die Länge als der Grenadier Station Wagon. Wenn der vorfährt, wird’s dunkel. Ein wirklich beeindruckender Blechberg. Der Radstand wächst um 30 Zentimeter, auf die 1,53 Meter lange Pritsche passt eine Euro-Palette, die Zuladung beträgt bis zu 800 Kilogramm, die Anhängelast 3,5 Tonnen. Das Konstrukt aus armdicken Metallrohren um die Pritsche (optional und demontierbar) verstärkt nicht nur den Offroad-Charakter, sondern auch die Stabilität. Gegen neugierige Blicke und lange Finger schützt ein abschließbares Metallrollo oder ein zeltartiges Canvas-Top. Beides kostet extra.
Alles vor der Ladefläche gleicht dem Grenadier Station Wagen. Und das ist eine gute Nachricht – außer vielleicht für die armen Gesellen, die in Reihe zwei der Doppelkabine einsteigen. Denn zugunsten der Ladefläche fehlen hier acht Zentimeter Fußraum, die Rückenlehnen stehen extrem steil, weil hinter ihnen direkt die Trennwand folgt. Nicht wirklich kommod.
Der Innenraum ist kompromisslos
Wobei das Thema Gemütlichkeit die Kernkompetenz des Quartermasters noch nicht einmal im Ansatz streift. Der Innenraum ist kompromisslos auf eine Fahrer-Fraktion konfektioniert, die zum Feierabend gerne mal die Wüste Gobi durchquert. Was nicht heißt, dass sich hier Gebirge von Hartplastik auftürmen. Im Gegenteil, viele Flächen sind gummiert oder mit geschäumten Kunststoffen gepolstert. Alles top verarbeitet und von sehr solider Qualität. Und wer möchte, kann den Innenraum (bis Höhe Mittelkonsole) nach getaner Drecksarbeit mit dem Schlauch auskärchern. Im Bodenbereich gibt es mehrere Wasserabläufe.
Doch der Quartermaster will ja auch nicht schick sein oder gar lifestylig. Er ist durch und durch Typ Pragmatiker, getrimmt auf ein langes Leben unter Stress. So zeigt der 12,3 Zoll große Touchscreen auch nur das nötigste und gibt Offroadern im Einsatz die wichtigsten Informationen an die Hand. Die Schalter und Drehregler in der Mittelkonsole sind groß, nicht elegant und erleichtern die Treffgenauigkeit bei unruhiger See. Das Bedienpanel am Fahrzeughimmel erinnert an ein Flugzeugcockpit. Hier werden Offroad- und Wattmode aktiviert sowie Differenzialsperren für vorne und hinten geschaltet. Weitere Kipphebel lassen sich frei konfigurieren.
Zweifellos ist auch dieser Grenadier ein begnadeter Kraxler, ein Fels in der Brandung. Selbst in dieser Langversion klettert er Passagen hoch, an denen sonst Skilifte Personen befördern. Das Potenzial des Quartermasters im schweren Gelände übersteigt Mut und Können des Autors bei weitem. Profis schätzen seine unerschütterliche Robustheit, das manuell sperrbare Mitteldifferenzial, die Getriebeuntersetzung oder die grobstolligen AT-Reifen. Ein Luftfahrwerk kam für den Last-Kraft-Wagen übrigens nie in Frage. Viel zu anfällig. Langlebigkeit hat bei Ineos bis in die kleinste Schraube immer oberste Priorität.
Jenseits der Wildnis, auf fester Straße, bemühen sich Federn und Dämpfer im Nutzfahrzeugformat darum, die Gäste nicht allzu sehr durchzuschütteln, was dem Quartermaster dank seines langen Radstands noch einmal spürbar besser gelingt als dem Erstgeborenen. Für so einen grobschlächtigen Gesellen ist der Komfort gar nicht mal übel. Die Lenkung kommt von Bosch und hat wenig mit dem zu tun, was wir von feinen SUVs der Premiumklasse kennen. Kein Wunder, normalerweise geht die Kugelumlauflenkung in einem 7,5 Tonner auf Schicht. Mit Zielgenauigkeit hat sie es nicht so, aber daran kann man sich dran gewöhnen. Vorrausschauendes Fahren hilft ungemein, zumal der Wendekreis für zwei Autos reicht und man nach Kurven aktiv zurückrudern muss, sonst folgt diese Streckbank auf Rädern stur dem eingeschlagenen Kurs. Im Gelände wiederum hat diese Auslegung handfeste Vorteile, denn sie überträgt kaum Schläge aufs Lenkrad und ist – wir sagten es schon – äußerst robust.
Über Sinnhaftigkeit oder gar Nachhaltigkeit dieses Profigeräts zu siniern, führt ins Abseits. Der Quartermaster fährt in einer klitzekleinen Nische, macht unsere Autolandschaft zwar nicht grüner, dafür aber bunter. Im Übrigen kommen alle Grenadiere ab 2026 mit den teilelektrifizierten Euro-7-Motoren von BMW. Ab Mitte 2027 folgt dann mit dem Fusilier, der erste vollelektrische Offroader von Ineos. Und für alle, denen das eine Nummer zu groß ist, plant Sir Jim Ratcliff noch eine kleine Überraschung: Einen erschwinglichen Handtaschen-Offroader im Format des Suzuki Jimny. Fast zu schön, um wahr zu sein. 
Tomas Hirschberger / www.ineosgrenadier.com

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