Eigentlich waffenscheinpflichtig

Mit dem mehr als 3,4 Tonnen schweren und 1.088 PS starken SUV MHERO 1 will Dongfeng, einer der großen chinesischen Automarken, der europäischen Big-Player-Konkurrenz wie Mercedes mit der G-Klasse oder BMW mit dem X7 das Gruseln lehren. Wir haben den Ost-Helden auf Asphalt und im Gelände gescheucht.

 

Man muss nicht mal genau hinschauen, um zu erkennen, was sich die Interieurdesigner beim Formen der inneren Türgriffe und deren Umgebung gedacht haben – es ist so offensichtlich: Griffe und Läufe von silbernen Edelpistolen. Ob die jetzt nach vorne zielen, um die europäische Konkurrenz aus dem Weg zu räumen, lassen wir mal offen. Sicher ist jedoch: Gewaltfrei ist anders. Erst recht, weil sich das Türenschließen anhört wie das Durchladen einer Knarre.
Aber irgendwie erwartet man auch solch martialisches Gehabe bei einem Monster-SUV, das mit vier unter der Stahlkarosserie versteckten E-Motoren und 1.088 PS überzeugen will und mit einem Leergewicht (!) von mehr als 3,4 Tonnen anscheinend alles plattwalzen will. Alleine der Akku-Pack ,mit fetter Aluminiumschutzplatte darunter, wiegt eine Tonne.
Um die langweilige, aber notwendige Datenkeulerei schnell hinter uns zu bringen: 1.400 Newtonmeter maximales Drehmoment, Allradantrieb, ordentliche 450 Kilometer Reichweite nach WLTP, Ladeleistung magere 100 Kilowatt, Sprint in beeindruckenden 4,2 Sekunden, Top-Tempo 180 km/h. Kurz: Ein Super-Offroader.
Weil wir keine Chinesen sind und auch gar nicht so viel Zeit mit dem Mörderteil haben, kriechen wir nicht mit Lupe vor jede Schraube und checken, wie lange das alles halten kann. Der erste Eindruck nämlich ist durchaus positiv: Alles sieht nach ordentlicher Verarbeitung aus, und dass das dunkle Holz im Cockpit Plastik ist, verwundert nicht wirklich – die Optik ist ok.
Die Ausstattung auch: Der M-Held vollgepackt mit allem, was man in China für den chinesischen Markt für notwendig erachtet. Dazu gehört alles von der Luftfederung rundum bis zu den Massagesitzen vorne und hinten. Und wenn‘s in Europa auch ankommt, kann es ja nicht schaden.
Entern wir das Auto – besonders, wenn es hochgepumpt ist, hilft es, dass Trittbretter in Schwellerhöhe ausfahren. Die Mittelkonsole ist zwar nicht ganz so breit wie in einem Hummer H1 (der durchaus als militaristisches Vorbild für den Chinesen-Hero genommen worden sein kann). Aber auch eine, die etwa 25 Zentimeter breit ist, kann Fahrer und Beifahrer deutlich trennen. Hauptgebilde darauf ist etwas, was aussieht wie eine quergelegte Armlehne. Die ist dreigeteilt, wobei der mittlere Steg nicht beweglich ist. Mit dem linken Teil wählt man von P nach D (oder R), der Rechte ist für die Offroadmodi zuständig. Die Parkposition wird ebenfalls per Knopf aktiviert. Die Motoren starten wir durch den Druck auf einen kleinen Knopf im Lenkrad, hier werden auch die Fahrmodi für die Straße gewählt (Standard, Eco, Sport, Komfort und Individual).
Wir starten im Gelände – und zwar auf dem Parcours des TCS-Fahrsicherheitszentrum im schweizerischen Hinwil. Uns wird zum „Sand“-Modus geraten, weil dann die Hinterradlenkung aktiv bleibt. Die benötigt man durchaus auf den schmalen Teststrecken und sie macht ihre Arbeit gut. Der „Automatik“-Modus bleibt aus, weil er laut Instruktoren den jeweiligen Untergrund über Kameras dann doch nicht so gut erkennen kann, wie er es sollte. Ausgerechnet im Sand bleiben wir dann stecken – können uns aber befreien, indem wir das vordere und hintere Differenzial per Knopfdruck bedienen. Das Fahrwerk hat dabei noch etwas Luft nach oben, aber die Einstellung sollen wir so lassen – die restlichen Millimeter mögliche Höhe sollen uns befreien, wenn gar nichts mehr geht. Und so treiben wir den Koloss Zentimeter für Zentimeter voran, mal über wirklich heftige Felsbrocken, mal über fiese Holzbohlen, mal über eine Trappe nach oben, mal über einen Berg steil nach unten. Dafür, dass man jederzeit sieht, wohin man fährt, sorgen insgesamt zehn Kameras, wovon sechs alleine vorne angebracht sind. Sogar mit Nachtsichtfunktion, die jede fehlgeleitete Maus bei tiefster Dunkelheit anzeigen soll. Nie geht dem MHero die Kraft aus, allerdings benötigt das Fahrpedal noch Feintuning. Es lässt sich nicht sensibel genug bedienen, um mit dem Brecher wirklich langsam und gleichmäßig über Hindernisse zu schleichen.
Nur 10 Meter Wendekreis
Da der MHERO eine Hinterradlenkung hat, schrumpft der Wendekreis auf erstaunliche zehn Meter zusammen, solange man nicht schneller als 60 km/h fährt. Nutzt man den Crawl-Modus per Knopfdruck, ist sowas wie ein seitlicher Gang des Autos möglich, weil dann alle Räder bis zu einem Winkel von 10,6 Grad in dieselbe Richtung einschlagen. Das soll zum Beispiel als Rettungsmöglichkeit aus festgefahrenen Situationen dienen, macht sich aber bestimmt auch gut auf der Champs-Elysées oder anderen automobilen Showbühnen.
Die Landstraßen um Hinwil lassen den dazugehörigen Test nicht zu, aber kurz übern Asphalt zu reiten ist möglich. Dabei gibt es wenig Überraschungen – komplett wankfrei gibt sich der Koloss nicht, aber die wenigen Bewegungen stören den Genuss auch nicht. Auf Asphalt scharren die fetten Pirelli Scorpion-Allterrain-Pneus der Größe 275/65 K20 mal kurz kreischend, wenn sie den China-Trum in 4,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen sollen.
In China wird der MHERO 1 schon seit einiger Zeit verkauft, dort sogar als verlängerter Pickup und mit der Erlaubnis, 4,9 Tonnen zu ziehen statt 2,5 Tonnen wie bei uns. Da hat sich schon eine Fangemeinde gebildet, die zusammen Ausfahrten machen. In der Schweiz wird er von der Noyo AG ab jetzt angeboten, nach Deutschland soll der MHERO sehr bald kommen. Der Preis wird bei etwa 160.000 Euro liegen. Seine Hauptaufgabe: „Türöffner“ zu sein für kommende Modelle von Dongfeng, die sozialverträglicher sind – wie zum Beispiel der Premium-SUV Voyah Free oder das 20.000-Euro-Elektroauto Dongfeng Box.
Ach, ehe wir es vergessen: Bald darf man auch mit dem Führerschein B so ein Monster fahren, das ein Gesamtgewicht von 3.920 Kilo aufweist. Denn die EU hat beschlossen, dass bei E-Autos einfach das Gewicht der Batterie abgezogen wird – weswegen die Gewichtsgrenze künftig bei 4,25 Tonnen liegen soll. Und fast noch besser: Man braucht nicht mal einen Waffenschein…
Roland Löwisch

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