Knallbüchse im Kurvenrausch

Seine ersten Siege hat er bei Bergrennen eingefahren. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass der vielleicht letzte echte Abarth auf Carlos Spuren noch einmal durch die Alpen jagt – unten summt schließlich schon die elektrische Zukunft.
Der Blick geht noch ins Leere, doch von tief unten im Tal klingt schon ein Dröhnen, Grollen und Brüllen herauf an diesem kühlen Morgen im Herbst, das mit jeder Sekunde lauter wird und näher kommt. Bis plötzlich ein sonnenaufgangsroter Kugelblitz um die Ecke fegt und mit quietschenden Reifen auf 2.757 Metern zum Stehen kommt. Willkommen auf dem Stelvio, einem der spektakulärsten Pässe, den die Kontinentalplatten-Tektonik im Süden der Alpen aufgetürmt hat. Dass hier in der kurzen Saison zwischen Schneeschmelze und Wintersperre tagein tagaus die Sportwagen hart am Drehzahlbegrenzer den Gipfel stürmen, daran sind sie längst gewöhnt im Rifugio Garibaldi oder im Hotel Folgore. Schließlich steht der Pass bei jedem Petrolhead ganz oben auf der Bucketlist. Und je früher sie unterwegs sind, desto weniger müssen sie sich über lahme Wohnmobile ärgern oder Rücksicht auf Radler nehmen, weshalb es hier bisweilen schon zum Sonnenaufgang zugeht, wie bei den Touristenfahrten auf der Nordschleife und sie spätestens beim Barrista am Tresen dann doch im Stau stehen. Doch dass sich unter all die bisweilen wild beflügelten, jedoch immer potenten und meist auch teuren Sportwagen aus aller Herren Länder, ausgerechnet ein vorlauter italienischer Kleinwagen mischt und dann auch noch ganz vorne mitfährt, das erleben sie auch hier oben nicht alle Tage. Aber was aussieht wie die Knutschkugel einer Großstadt-Schickse, die auf dem Weg zum Shopping nach Mailand oder München die falsche Abzweigung genommen hat, ist kein gewöhnlicher Cinquecento, sondern ein kleiner Kraftmeier. Denn statt des Fiat-Logos prangt auf diesem 500er der Skorpion, den Carlo Abarth schon vor 75 Jahren zu seinem Logo gemacht und bei zahlreichen Rennen zu einem anerkannten Sportabzeichen gemacht hat. Auch und gerade auf Alpenpässen wie diesem. Deshalb ist es nur richtig, dem großen Carlo noch einmal zu huldigen und mit dem Abarth 695 im Eiltempo ein paar Berge zu bezwingen, so lange es noch geht. Erstens, weil im Kalender schließlich bald der Winter kommt und sich dann wieder die Schranken senken für die Passstraßen. Und zweitens, weil in der Stellantis-Strategie die elektrische Eiszeit naht und auch Abarth den Abgasen abschwören muss. Und egal wie – je nach Perspektive – liebevoll oder albern sie den 500e mit künstlichem Sound, strammem Fahrwerk und dicken Backen als erstem elektrischen Abarth zum Sportwagen unter Strom gemacht haben, wird es mit dem Gipfelstürmen dann eher schwierig bei einem Akku von 42 kWh, einer Normreichweite von 265 Kilometern und einem eklatanten Mangel an Ladesäulen auf den Gipfeln. Und nur runter rollen und rekuperieren will ja auch keiner. Begonnen hat die Tour in Turin, wo Fiat zu Hause ist und der in 1908 in Wien geborene Firmenchef Carlo Abarth sein zu Hause gefunden hat. Erst als Auswanderer, der 1949 in Bologna seinen Rennstall gegründet und dann bald an den Fuß der Alpen umgesiedelt hat. Dann als Fiat 1971 die Firma übernommen hat. Und dann noch einmal, als sich der Großkonzern der kleinen Marke erinnert und sie 2007 mit neuem Leben gefüllt hat. Seitdem ist Abarth für Fiat so etwas wie AMG für Mercedes und die M GmbH für BMW – eine Mischung aus Sportstudio und Spielzeugladen, wo Schnellfahrer und Selbstdarsteller gleichermaßen fündig werden. Während er später in den Alpen die Eiligkeit befriedigen wird, geht es deshalb jetzt erst einmal um die Eitelkeit. Denn stolz sonnt sich der Kraftzwerg auf dem Dach des Fiat-Stammwerks Lingotto. Dort, wo heute Fußgänger flanieren und eigentlich nur noch Elektroautos im Schritttempo Slalom um Blumenbeete und Kunstwerke fahren, stürmt er noch einmal mit nur marginal angezogener Handbremse durch jene Steilkurven in luftiger Höhe, die „La Pista“ zur vielleicht spektakulärsten Teststrecke der Welt gemacht haben.
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Erst „La Pista“ und dann raus auf die Piste Dann geht es die spiralförmige Abfahrt hinunter und der kleine Skorpion schießt auf die Straße als wäre er eine Flipperkugel. Nach ein paar Kreiseln von ganz oben herunter ausgespuckt und in ein Spiel katapultiert, das keine Grenzen kennt. Ruck zuck verschwindet die Stadt im Rückspiegel und vor der Stupsnase türmen sich die ersten Berge auf. Ganz im Westen soll der Reigen beginnen, in Breuil-Cervinia und dann auf den Spuren der Tour de France über den Galibier und den Großen St. Bernhard in die Schweiz Richtung Gotthardt, Furka und Oberalb und dann immer weiter nach Osten. Auf und nieder immer wieder, tapfer kämpft sich der Kleinwagen mit großem Mut die Berge hinauf, und was ihm trotz der Kraftkur von 70 auf 180 PS an Leistung fehlt, macht er mit seiner Lässigkeit wieder wett und mit seinem kleinen Wendekreis. Denn wo die fetten Gran Tourer bisweilen sogar zurücksetzen müssen, kratzt der Cinquecento wirklich jede Kurve und kommt in einem Rutsch rum. Da stört es auch keinen, dass sein 1,4 Liter kleiner Turbo magere 250 Nm an die kleinen Vorderräder wuchtet, von 0 auf 100 immerhin 6,7 Sekunden vergehen oder bei Vollgas gerade mal 225 km/h drin sind. Im Autoquartett mag man damit vielleicht keinen Stich machen, aber wenn der kleine Skorpion hier oben mal den Stachel lökt, nehmen gestandene Sportwagen breitwillig Reißaus. Mehr als einmal rollen Porsche & Co für den kleinen Kugelblitz rechts ran und geben mit einem Winken die schmale Spur frei. Der Fiat dagegen gönnt sich kaum eine Pause. Denn stehen werden Abarth-Fahrer in Zeiten der Elektrifizierung später noch lange genug. Schließlich zählen die Stellantis-Autos an der Ladesäule nicht eben zu den Schnellsten und mit 85 kW ist auch beim Abarth 500e kein Staat zu machen. Doch solange noch Sprit im Tank ist und die Explosionen im Bug für Vortrieb sorgen, sind Pausen nur was für Weicheier. Da mal schnell einen Espresso, dort ein paar Liter Super Plus und wenn die Konzentration irgendwann zu sinken droht, einfach das Dach aufmachen und die kalte Bergluft bläst auch den kleinsten Ansatz von Müdigkeit im Sturm davon. Aber ansonsten bleibt der Bleifuß eisern auf dem Gaspedal und die nächsten Pässe warten schon. Forcula di Livigno , Passo d’Eira, Passo Foscagno und Passo Gavi – so fliegt der Fiat durch den Tag, der irgendwann unmerklich zur Nacht wird und als im Morgengrauen die Rampe zum Stelvio lockt, ist es kein Gähnen im Gesicht, sondern ein Grinsen, das mindestens genauso breit ist. Erstens, weil diese Tour wirklich der Gipfel war. Und zweitens, weil der Stelvio ja nicht der Endpunkt ist, sondern nur die Wendemarke – und bis Turin bei geschickter Routenführung noch einmal ein Dutzend Pässe warten. 
Thomas Geiger www.abarth.de
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