Rollende Unterforderung

Im Traumauto auf die Trauminsel – eine Sommertour von Hamburg über St. Peter Ording nach Sylt im neuen Defender. Nur das Auto, das schien nicht so glücklich über uns Fahrer zu sein …

Es ist ein norddeutscher Spätsommertag in St. Peter Ording alias SPO. Das heißt, die Schmuckfarbe der Wahl ist grau. Das Wasser am weitläufigen Strand von „St. Pete“ hat sich bis beinahe zum Horizont verzogen. Dafür wogen die Wolken am endlosen Himmel, bilden immer neue Formationen und lassen schon mal ein bisschen Feuchtigkeit auf den Strand sprenkeln. Es hat beinahe den Anschein, als müsse da oben jemand Tränen lachen über die Menschlein, die am Boden dekretieren, es sei Flut und das Befahren des Strandes bis zum legendären Restaurant „Salt & Silver“ zu gefährlich. Wie bitte? Zu gefährlich. Wir waren schließlich unterwegs in den neuen Defender-Modellen von Land Rover. „Gefährlich, so ein Unfug“, hörten wir es auf unserem Weg durch die Wind- und Fahrgeräusche Richtung Strand raunen. Wer spricht denn da? Ganz klar, unser Defender verschaffte seinem Unmut Luft. „Leute, von wegen Flut, ein lütter Priel ist das doch nur“. Und siehe da, er hatte recht. Ein Klacks wäre das für einen Defender gewesen – und schon gar für unser nigelnagelneues Spitzenmodel, den Defender 130. „Warum statten mich bloß die Menschen mit den tollsten Offroad-Fähigkeiten aus und trauen mir dann noch nicht mal eine kleine Pfütze am Strand zu?“, klang es heiser durch den Wind. Unser Defender war hörbar knörig. Das war doch genau sein Wetter hier. „Geshuttelt haben sie meine Fahrer zu ,Salt & Silver‘ – ein Skandal. Und nun schlagen sie sich da drinnen ihre Bäuche voll und ich stehe tatenlos auf dem Parkplatz rum.“ Lassen wir das großartige Auto mal eine Weile außen vor, denn der Zauber, hinterm Volant zu sitzen und erschütterungsfrei über norddeutsche Kreisstraßen zu gleiten, wurde im Stelzenhaus am Strand von St. Peter kulinarisch gekontert. Co-Gründer Johannes Riffelmacher, den zwischen Tel Aviv und SPO alle nur Jo nennen, hatte es sich nicht nehmen lassen, die Defender-Familie persönlich zu verwöhnen. Ob als Vorspeise israelische Mezze, Ceviche vom Lachs oder Tetenbüller Schafskäse, Steinbutt, Austern, Jakobsmuscheln, Steak … alles zum Dahinschmelzen, alles nachhaltig aus der Umgebung – und teils sogar vom eigenem Feld in der Hamburger Grünkorb Bioland Gärtnerei. Ganz nach ihrem Motto: „Nichts ist befriedigender, als die Samen, die man gepflanzt hat, wachsen zu sehen. Außer vielleicht, sie zu ernten und in leckere Gerichte zu verwandeln!“

Helikoptereltern wienern den Defender
Auch die Luxus-gewohnten Autojournalisten um uns herum wurden ganz still angesichts der kulinarischen Kaskaden, die da am Strand von St. Peter auf sie einprasselten. Wieder raus ins raue Wetter war da schon eine Herausforderung – für die gesättigten Menschen jedenfalls. Der Defender Longrange 130 hätte wohl ob des Hedonismus’ seiner temporären Herrchen und Frauchen, wenn er es denn könnte, schnippisch die Frontpartie verzogen. „Wünsche wohl gespeist zu haben, ich habe derweil Druckstellen vom Warten auf dem Asphalt. Meine Drosselklappe und die Traktionskontrolle sind gewiss schon eingerostet, so wie ich hier geschont werde.“ Ja, es wirkte schon merkwürdig, dass diese Giganten des Geländes, diese Wesire von Wüste und Wasser permanent von hilfreichen Händen gewienert und gefeudelt wurden. Dabei brauchen sie doch Matsch und Abenteuer so wie wir früher als Kinder, bevor die Helikoptereltern dem Toben in Wald und Flur ein Ende machten. Nun ja, der Achtzylinder mit seinen 368 kW (500 PS) kostet in der Ausstattung, die uns zur Verfügung steht, auch schlanke 162.350 Euro, da will man ja nichts kaputtmachen … Der scharfe Wind, den wir als einziges Geräusch außerhalb der perfekt isolierten Kabine wahrnehmen, suggeriert wieder leichtes Gemecker des Autos. „Mensch Leude“, rutscht der Defender ab in norddeutschen Slang, während es von St. Peter Ording Richtung Niebüll geht, „ich bin doch unkaputtbar, deshalb wurde ich doch erfunden; nicht, um von Parkplatz zu Parkplatz zu gleiten“. Wir haben Mitleid mit der fabelhaften Technik, die tief unter dem Windsor-Leder, auf dem wir thronen, verbaut ist, und packen mal eben etwas kräftiger zu. Voller Glück scheinen die acht Zylinder zu erbeben, in 5,7 Sekunden wuchtet sich das Schiff auf 100 km/h; nein, das ist schon fast Majestätsbeleidigung, unsere 2,745 Tonnen (ohne Fahrer und Beifahrer) werden energisch und dynamisch, aber gleichermaßen sanft Richtung 100 Kilometergrenze und darüber hinaus geleitet. Luftfederung und Adaptive Dynamics sowie der perfekte Wankausgleich sorgen dafür, dass das Fahrzeug wasserwaagengleich die Horizontale hält. Dabei würde er doch so gern über Stock und Stein, durch Furchen und Fluten – also endlich auch mal in die Vertikale. Aber nein.

Wenn Metallschwellen zur Klage werden
Wir und Land Rover zeigen keine Gnade. Was das Auto allerspätestens in Niebüll wieder maulen lässt, sofern wir uns in der sanften Brise, die uns bei strahlendem Sonnenschein in der Schlange vorm Autozug umspielt, nicht verhört haben. „Also Leude, dieser Hindenburgdamm; das ist ja wohl das letzte, dass ich mich da auf diesen klapprigen Autozug quälen muss. Der hat eine perfekte, nur ganz leicht geneigte Notspur. Da können wir elegant auf die Insel nageln – und sind auch noch schneller als diese Bahn. Na los, in acht Minuten sind wir in Morsum. Und sollte doch was schiefgehen – männo, ich habe eine Wattiefe von 90 Zentimetern …“ Nix da, das temporäre Herrchen und der Fahrzeugeinweiser zwingen den 5,36 langen Defender gnadenlos auf den Einstockwagen. So geht’s huckepack nach Sylt statt „bequem mit maximalem Böschungswinkel von 30,1° auf die gerade mal 18° des Dammes“, wie wir zu hören glauben, als wir über die Metallschwellen des Einstockwagen rollen. Auf geht’s nach Sylt, wo Watt und offenes Meer sowie eine riesige Wanderdüne und einsame, vormalige Wehrmachtsstraßen in Deutschlands nördlichstem Winkel unserem geduldigen Defender zumindest theoretisch ein paar Abenteuer verheißen. Doch damit wird’s erstmal nichts. Denn von Westerland aus geht es bei strahlendem Inselwetter in unsere Unterkunft für das Defender-Wochenende: Das A-ROSA in List. Ein bisschen Frischmachen für die Menschen lautet die hochwillkommene Devise, der Defender hingegen lässt die neuerliche Außenpflege wahrscheinlich ähnlich widerwillig über sich ergehen, wie ein störrisches Kind die notwendige Wannenprozedur.

Darf’s noch ein bisschen Meer sein?
Unser 130er hat jetzt Feierabend; als Shuttles in die „Strandhalle Sylt“ in List nahe dem Ellenbogen, stehen andere Mitglieder aus der Defender-Familie zur Verfügung. Doch auch hier bleiben sie brav in der Spur – keine Rede von Offroad oder Abenteuer. Im Refugium des Hamburger Restaurateurs Tim Becker kreisen die Themen aber schnell darum, denn Dag Rogge, Leiter der Land Rover Experience bei Düsseldorf als auch der weltweiten Touren der Defender Experience, ist geradezu Mr. Offroad. Wenn die Autos nur seine Loblieder auf deren Performance oder die ihrer Vorfahren in den Gebirgen, Wüsten und Schluchten dieser Erde hören könnten … So richtig zum Abheben war allerdings, was Astrofotograf Konstantin von Poschinger, der auch Präsident der „Gesellschaft für volkstümliche Astronomie e.V.“ in Hamburg ist, über den Himmel über Sylt zu erzählen wusste. Auch dieses eigentlich angedachte Outdoor-Erlebnis hielt sich in engen Grenzen – daran waren aber die Wolken schuld und niemand sonst. Doch von Poschinger schaffte es auch so, Astronomisches, Historisches, Literarisches und Philosophisches zu einem fesselnden Erzählstrang über seine Leidenschaft für die Sterne zusammenzufügen. Ebenso himmlisch war das Essen in der „Strandhalle“, die der Hamburger Kiez-gastronom Tim Becker seit 2023 betreibt und daraus einen ebenso beliebten wie akzeptierten Ort gemacht hat, an dem Insulaner wie auch Inselgäste in friedlicher Koexistenz sitzen und genießen. Bei Austern – natürlich Sylter Royal, Miesmuscheln und anderen Proteinbomben schmolzen und schlemmten wir so der Nachtruhe entgegen – sanft von der unterforderten Defender-Flotte durch die Dünen Richtung A-ROSA geleitet. Der edle Wellness-Tempel in List ist immer noch so charmant wie eh und je, die Zimmer hell und großzügig, allerdings ist doch an der einen oder anderen Stelle in dem Luxusbetrieb schon etwas Patina zu erkennen. Aber ein Wohlfühlort ist das A-ROSA allemal noch. Zumal es mit dem „Fish Club“ einen Sushi-Laden allererster Güte vorzuweisen hat. Die üppigen Platten mit Sashimi und Nigiri sowie Maki-Sushi und California Rolls fanden am letzten Abend reißenden Absatz unter den Teilnehmern der Defender Experience Sylt.

Die Faszination des Achtecks
Vor diesem Genuss, gab es allerdings noch einiges zu sehen. Octa lautet das Zauberwort. Es steht für das Oktaeder, das aus acht kongruenten gleichseitigen Dreiecken besteht – der meistverbreiteten Form natürlicher Diamantkristalle. Und wenn wir schon bei gesundem Halbwissen sind: Unser Wort Diamant leitet sich etymologisch vom griechischen „adamas“ ab, was so viel wie unbezwingbar bedeutet. Unbezwingbar scheinen auch Lust und Gier des Menschen auf Diamanten zu sein. Mörderische Exzesse, blutige Kolonialdramen, sinistre Parvenus, die das schnelle Geld wittern – das Image der „Blood Diamonds“ scheint überall noch präsent zu sein in den Köpfen derer, die sich nicht mit den edlen Steinen beschäftigen. Denn vieles in Sachen Nachhaltigkeit hat sich auch im Diamanten-Business getan. Weg von der Ausbeutung der Minenarbeiter, weg von kriminellen Kartellen in Post-Kolonialstrukturen – hin zu modernen Verkaufs-, Design und Beratungsmethoden. Etwa bei Schmuckdesignerin Leo Eberlin und ihrem Mann Steven Neuman. Ihr Berliner Label LEOMATHILD ist mittlerweile bis Hollywood bekannt und beliebt für dessen Kreationen. Steven Neuman ist in vierter Generation Diamanthändler und -experte.

Hochkarätiges mit und ohne PS
Neuman ist es gewohnt, mit wertvoller Fracht zu reisen. Und so brachten er und sein Frau die im Wortsinne edlen Steine nach Keitum, ins „Severin’s Resort & Spa Sylt“, wo er sie zur weiteren Begutachtung nonchalant aus der Hosentasche hole. In der Folgezeit wurde am lebenden Objekt jede Menge Fachwissen über Reinheit, Einschlüsse und Vorkommen der raren Edelsteine erzählt. Die Faszination Diamant erfasste jedenfalls jeden im Raum, ob Schmuckträger oder nicht. Und mit der speziellen Mischung aus Zange und Pinzette selbst mal eben so 5plus Karat festzuhalten und vor den Augen zu drehen, war ein weiteres Defender-typisches Abenteuer. Und natürlich war der Besuch des Diamanten-Experten-Duos auch kein Zufall, sondern wohl gewählte Koinzidenz. Denn die edle „Defender OCTA Edition One​“ des schon edlen Sondermodells, dem Defender 110 „OCTA“, wurde in so passenden Ambiente präsentiert. Das edle Kraftpaket, von dem im Severin’s die bereits vergriffene Startedition von für Europa 25 Exemplaren zu sehen war, ist innerhalb der Luxuswelt des Defender nochmals ein eigenes Luxusdestillat, sozusagen der Höchstkaräter unter den Hochkarätern. In der im Garten ausgestellten Version lockten ein 4,4-Liter-Twin-Turbo-Mild-Hybrid-V8-Motor mit kantigen 467 kW (635 PS) bei bis zu 750 Nm. Damit käme der Wagen, müsste er nicht auf einem Podest auf dem Sylter Rasen stehen, in 4,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h, Schluss wäre erst bei 250 km/h. Ein nahezu perfekter Ausdruck von Unvernunft, wie er da so vor einem steht mit Karbon-Applikationen, einer Wattiefe von sagenhaften 100 Zentimetern und den sensomotorischen Sensationssitzen, die bei Musik sogleich dafür sorgen, dass die Edel-Anlage wirklich in den Hintern geht. Den „normalen“ OCTA gibt es, sofern man denn einen erwischt, ab 185.000 Euro. Und so lassen wir ihn dann schweren Herzens stehen, genau wie all die anderen Defender-Brüder. Denn zurück aus den automobilen wie kulinarischen Insel-Träumen geht’s ganz profan, per Interregio. Die Autos verbleiben auf der Insel – wir haben sie „nur“ überführt; sie wecken auf der Insel neue Träume bei potenziellen Kunden. Hoffentlich wird unser treuer Defender 130 mal etwas mehr gefordert. Stumm steht er da, kein Gruß zum Abschied. Wir müssen uns wohl geirrt haben. Autos können nicht sprechen.

Daniel Killy

 

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