Als Bugatti vor 15 Jahren den historischen Standort im elsässischen Molsheim mit Beginn der Produktion des Veyron 16.4 wieder aufnimmt, beginnt eine neue Zeitrechnung – die der Hypersportwagen der Moderne. Doch es ist weit mehr als nur das Schaffen eines neuen Fahrzeugs der Superlative.
Mit den historischen Gebäuden Château St. Jean, der Remise Sud sowie Remise Nord und dem neu gebauten Atelier hat Bugatti vor 15 Jahren Tradition und Moderne verbunden und gezeigt, dass lange Unternehmensgeschichte und spannende Zukunft kein Widerspruch sein müssen“, sagt Stephan Winkelmann, Präsident von Bugatti. „Die Gebäude passen perfekt zu unserer Firmenphilosophie und geben unseren Fahrzeugen eine wertvolle Heimat. Als französisches Unternehmen sind wir stolz auf diesen Stammsitz der Marke.“
Planung geht bis 1998 zurück
Der Plan zur Wiederbelebung der Marke am Standort in Molsheim geht zurück auf das Jahr 1998. Kurz nachdem Volkswagen im April unter seinem damaligen Vorsitzenden Ferdinand K. Piëch die Namensrechte an der Marke Bugatti gekauft hatte, beginnen bereits die ersten Gespräche zwischen ihm und dem Architektenbüro Henn. Unter dem Namen „Projekt Molsheim“ erwirbt der Konzern das Grundstück mit den drei Gebäuden vom Rüstungskonzern Messier-Bugatti, die direkt nebenan produzieren. Vom alten Charme des Châteaus und der Remisen ist jedoch nicht mehr viel übrig. Das Château St. Jean, ehemalige Kunden-Repräsentanz Ettore Bugattis, ist in einem schlechten Zustand. „Der neue Unternehmenssitz sollte auf die Geschichte hinweisen, daher die Wahl des historischen Bugatti-Standorts in Molsheim“, erinnert sich Professor Gunter Henn. Im September 1999 lädt Bugatti Enthusiasten und Verantwortliche aus der Region zu einem Fest auf dem Grundstück ein, um die Pläne zu verkünden. Die Idee findet Anklang: Es kommen mehr als 1.000 Gäste, über 200 historische Bugatti- Fahrzeuge parken auf dem Gelände.
Kurz danach beginnen die Arbeiten zur Wiederauferstehung des Standorts. Zu Beginn der Restaurierung steht allerdings noch nicht fest, ob in Molsheim auch eine Montage entstehen wird – zunächst sollen die historischen Gebäude in neuem, altem Glanz erwachen und wieder ihrem ursprünglichen Zweck dienen, der Repräsentation der berühmten Marke. Gleichzeitig erwirbt Bugatti Antiquitäten und Kunstwerke der Bugatti-Familie. Ettores Sohn Rembrandt war Bildhauer, sein Vater Carlo Architekt und Designer.
Erst 2001 gibt Bugatti mit der Vorstellung des ersten Prototypens bekannt, dass der kommende Hypersportwagen auch in Molsheim entsteht. Bugatti kauft Nachbargrundstücke und plant eine moderne Produktionsstätte – das Atelier. Die französischen Behörden unterstützen das Projekt. Nicht nur das neue Fahrzeug sollte einzigartig werden, sondern auch seine Geburtsstätte.
Molsheim seit 1909 Heimat Bugattis
Molsheim liegt 25 Kilometer südwestlich von Straßburg, am Ausläufer der Vogesen. Es ist ab 1909 die Heimat Bugattis. Hier konzipiert und baut Ettore Bugatti mit Unterbrechungen seine außergewöhnlichen Autos, bis er 1947 stirbt. 1928 erwirbt Ettore Bugatti das Château St. Jean mit einem sechs Hektar großen Park. Das Herrenhaus erbaute 1857 die Familie Wangen de Geroldseck auf dem Gelände einer ehemaligen Komturei des Johanniterordens von Jerusalem aus dem 13. Jahrhundert. Zwei Remisen aus den Jahren 1788 und 1853 ergänzen das idyllische Parkwesen, ältestes Bauwerk ist das Eingangstor aus dem 14. Jahrhundert. Unter Ettore Bugatti dient das Gebäude als Kulisse für seine Luxusautos und als Empfangshaus für Kunden. Nach dem Tod Ettore Bugattis übernimmt sein Sohn die Arbeit, bis das Unternehmen 1956 in Konkurs geht. Die Tore der Manufaktur schließen nach 47 Jahren, in der bis dahin knapp 8.000 Bugatti-Fahrzeuge entstehen.
Als Volkswagen sich die Namensrechte an Bugatti 1998 sichert, ist man zunächst skeptisch. Denn neben der Ankündigung eines Fahrzeugs mit über 1.000 PS, das zudem über 400 km/h fährt, soll es in einer völligen neuen Umgebung entstehen. „Das Château St. Jean befand sich in einem desolaten Zustand und musste entkernt und neu gedacht werden, die Remisen mussten wir ab- und wieder neu aufbauen“ erklärt Professor Gunter Henn. Im Zuge der Planung fährt das Architekten-Team nach Molsheim, spricht mit Bugatti-Enthusiasten und ehemaligen Mitarbeitern. Es will ein Gefühl für das Unternehmen und den Standort bekommen. „Uns wurde schnell die Faszination der Marke und die Bedeutung der Geschichte klar. Wir wollten unbedingt die Historie erhalten und gleichzeitig einen Ort schaffen, wo ein neues, hoch komplexes, technisches Objekt entsteht“, erklärt er. Bugatti stehe für hohe Ingenieurskunst und Ästhetik, für unglaublich viel Kraft, aber auch für die Reduktion auf das Wesentliche, für zeitlose Eleganz und geballte Energie. „All das muss sich in den Gebäuden widerspiegeln“, sagt Professor Henn.
Neuerstehung des Château St. Jean
Das zweistöckige Château St. Jean mit dem hohen Mansardendach wird entkernt und neu aufgeteilt. Aus dem Gebäude mit sechs kleineren Wohnungen entsteht eine großzügige Villa. Die siebenachsige Fassadengliederung mit überhöhtem Mittelrisalit lässt das 22 Meter lange Château länger erscheinen. Im unteren Bereich öffnet sich ein durchgängiger Raum mit zwei konkaven Randkörpern in zwei Seiten, im Rücken der Wandkörper verlaufen Treppen. Die mittlere Etage liegt auf einem mittigen Oval, das nicht vollständig mit den Außenwänden verbunden ist und dadurch schwebend wirkt und wie in eine neue Zeit katapultiert.
Auch die Remisen Nord und Süd, zwei ehemalige Ställe, entstehen innerhalb eines Jahres unter strengem Denkmalschutz neu. Früher dienten sie eine Zeit lang Pilgern des Malteserordens auf dem Weg nach Santiago de Compostela als Herberge. Die Gebäude werden telemetrisch vermessen, abgebrochen und unter Verwendung vieler Teile wie etwa Mauer- und Holzelementen originalgetreu wieder aufgebaut. Die 41 Meter lange Remise Nord beherbergt heute eine kleine Ausstellung historischer Fahrzeuge und Büroräume. Die 33 Meter lange Remise Süd bietet heute eine Customer Lounge, in der Kunden ihre Fahrzeuge konfigurieren, ein Kaminzimmer und eine Bibliothek. „Alle Gebäude erfüllen trotz ihrer besonderen Ästhetik ihren Zweck und haben einen funktionalen Anspruch. Es sind keine reinen Kunstwerke, obwohl sie so ausschauen“, sagt Professor Gunter Henn.
Das Atelier als moderne Manufaktur
2001 wird die Serienproduktion des Bugatti Veyron 16.4 beschlossen und eine Fertigungsstätte gesucht. Als Kontrast zu den historischen Gebäuden plant Architekt Professor Gunter Henn eine moderne, ästhetische und sehenswerte Fahrzeugmontage – das Atelier. Das ehrwürdige Château und die Remisen repräsentieren die lange Tradition der Marke, das Atelier das Technische der heutigen Zeit und die Zukunft. Professor Henn schweben unterschiedliche Atmosphären vor, wie das Eintauchen in die Vergangenheit ohne Nostalgie, ein Weg durch die Natur als Durchgangsraum und Zeitraffer sowie ein klarer, freier technischer Blick für Neuentwicklungen. Auf 84.500 Quadratmetern Fläche, darunter 52.600 Quadratmeter Wald, findet er ausreichend Platz.
Der Weg vom Château geht vorbei an der Remise Süd hin zum Atelier, ein faszinierender Dialog zwischen Historie und Moderne. Im Wald stehen fast 250 Jahre alte Eichen, dazwischen leben auf vier Hektar Damhirsche. Jenseits einer historischen Mauer, erstreckt sich das modernste Gebäude auf dem Areal: Mitten auf der grünen Wiese, in Sichtweite des Châteaus steht ein optisch schwebendes Oval aus einer Stahlkonstruktion auf einem Sockel. Das 76 Meter lange und 45 Meter breite Gebäude beherbergt nach Süden ausgerichtete Montageplätze, an der westlichen Stirnseite die Motorvormontage, am östlichen Ende Büros und Mitarbeiterräume.
Drei Prüfmodule für Lack und Dichtheit in einer Stahlbetonkonstruktion ergänzen das Oval an der nördlichen Seite. „Es ist ein Eintauchen in eine moderne Welt. Die Form lehnt sich am Bugatti-Macaron, dem Emblem der Marke, an. Die Großzügigkeit, das Abstrakte und die Lichtverhältnisse der verglasten, hellen Haupthalle erinnern an ein Künstleratelier. Im Grunde sind Veyron und sein Nachfolger und auch Kunstwerke, die als solche auch einen passenden Raum benötigen“, erklärt Professor Gunter Henn.
Nach wie vor sind es die verschiedenen Licht-Atmosphären und Ausblicke aus den unterschiedlichen Gebäuden, die den Architekten noch heute begeistern und die den Standort einzigartig machen. Wie der Blick aus einem der vielen Fenster des Châteaus hinaus auf den Park, eine Verschmelzung von Tradition und Natur, die ihn in den Bann ziehen. Das einfallende Licht in der eher schmalen Remise Süd mit ihren Holzarbeiten und der Treppe zur Bibliothek unterstützt das Gefühl von Intimität, Freundschaft und Familie. Der Blick hin zum Atelier und anschließend aus den Fenstern nach Süden bietet ein konträres Raumgefühl: offen, großzügig und technisch.
Christophe Piochon arbeitet mit Unterbrechung seit 2001 für Bugatti, seit 2013 als Standortleiter Molsheim und als Mitglied der Geschäftsführung für Produktion und Logistik. „Der Standort mit dem Château St. Jean, den beiden Remisen, dem Wald und der ganzen Geschichte ist einzigartig in der automobilen Welt“, sagt Christophe Piochon. Dazu komme die Art und Weise wie Bugatti seine Hypersportwagen produziert – in Manufakturweise per Handarbeit. „Die anfängliche Herausforderung bei der Planung bestand darin, eine Idee zu entwickeln, wie wir als Manufaktur auf der grünen Wiese die extrem hohe Qualität des technisch sehr anspruchsvollen Fahrzeugs bei den sehr geringen Stückzahlen gewährleisten können. Daraus entstand das Atelier mit den vier Arbeitsplatz-Boxen, in denen Mitarbeiter bis zu fünf Tage per Handarbeit über 2.000 Einzelteile für die Unikate montieren“, erklärt Christophe Piochon. Bis heute eine einmalige Arbeitsweise, in denen im Durchschnitt zwei Fahrzeuge der Varianten Chiron, Divo, und bald und Chiron Super Sport 300+* pro Woche in höchster Qualität entstehen.
„Die Arbeitsatmosphäre in diesem grünen Umfeld und dem großzügigen Atelier bereitet mir wirklich jeden Tag Freude, auch nach über 15 Jahren“Christophe Piochon
Zu Ehren Ettore Bugattis wurde um seinen Geburtstag (15. September 1881) am 3. September 2005 das Atelier feierlich eingeweiht. An mehreren Tagen konnten Interessierte, Freunde der Marke, Bugatti-Enthusiasten und Anwohner der Umgebung den neu aufgebauten Standort erleben. Bis 2015 werden in Handarbeit 450 Veyron- Fahrzeuge hergestellt. Seit 2016 findet hier die Montage des Chiron, seit diesem Sommer die des Divo statt.
„Molsheim beherbergt Tradition, Moderne und Zukunft. Es ist eine Verdichtung von Zeitelementen und Funktionalität, die in einer ausgeglichenen Symbiose stehen. Heritage neben Hightech“, sagt Stephan Winkelmann. Bugatti in Molsheim bleibt auch in Zukunft mehr als nur ein Firmensitz und eine Automobilproduktion im Elsass. Bugatti in Molsheim bedeutet weiterhin die Verwirklichung einer Vision der legendären Marke Bugatti.
Text und Bild: 2020 BUGATTI AUTOMOBILES S.A.S.
1) CHIRON: Kraftstoffverbrauch, l/100km: innerorts 36,7 / außerorts 15,8 / kombiniert 23,5; CO -Emission kombiniert, g/km: 553; Effizienzklasse: G* [WLTP: Kraftstoffverbrauch, l/100km: niedrig 43,33 / mittel 22,15 / hoch 17,99 / besonders hoch 18,28 / kombiniert 22,32; CO -Emissionen, kombiniert, g / km: 505,61; Effizienzklasse: G]
2) DIVO: Kraftstoffverbrauch, l/100km: innerorts 36,7 / außerorts 15,8 / kombiniert 23,5; CO -Emission kombiniert, g/km: 553; Effizienzklasse: G* [WLTP: Kraftstoffverbrauch, l/100km: niedrig 43,33 / mittel 22,15 / hoch 17,99 / besonders hoch 18,28 / kombiniert 22,32; CO -Emissionen, kombiniert, g / km: 505,61; Effizienzklasse: G]
3) CHIRON SPORT: Kraftstoffverbrauch, l/100km: innerorts 36,7 / außerorts 15,8 / kombiniert 23,5; CO -Emission kombiniert, g/km: 553; Effizienzklasse: G* [WLTP: Kraftstoffverbrauch, l/100km: niedrig 43,33 / mittel 22,15 / hoch 17,99 / besonders hoch 18,28 / kombiniert 22,32; CO -Emissionen, kombiniert, g / km: 505,61; Effizienzklasse: G]
4) CHIRON PUR SPORT: Unterliegt nicht der Richtlinie 1999/94/EG, da Gesamtbetriebserlaubnis derzeit noch nicht vorliegt.