Hurra, Hurra, Huracan

Der Huracan sagt Arrivederci: Ende nächsten Jahres ist der kleine Lambo mit der wunderbaren V10 Geschichte. Grund genug, noch einmal mit einem Spyder und drei verschiedenen Coupés durch Italien zu düsen.

Man muss sich manchmal wundern. Zum Beispiel über den Psychologen Borwin Bandelow, der im „Spiegel“ sagt: „Wenn Sie sich einen Lamborghini anschaffen, hält das Glücksgefühl gerade mal drei Wochen, dann ist die Krawallschüssel wie ein ganz normales Auto, das keinen neuen Reiz mehr bietet.“ Da würde man gerne wissen, ob der Mann jemals einen Lamborghini fuhr. Oder ob er zum Spaßhaben in den Keller geht.
Wir jedenfalls sagen so oft wie möglich ja, wenn es darum geht, einen Lamborghini zu bewegen. So auch zu der Idee, vier Huracan-Modelle durch Italien zu chauffieren – als Abschiedstour. Denn der Huracan sagt langsam Arrivederci: Der „kleine“ Lamborghini wird noch bis zum dritten Quartal 2024 gebaut, dann ist Schluss. Auch mit dem V10-Verbrenner. Es wird etwas Neues geben – hybridisiert und damit eindeutig anders. Bislang sind rund 25.000 Huracan produziert worden, etwa 3.500 kommen noch hinzu.
Noch schöner, als all die Lambos auf der Produktionslinie zu sehen, ist, sie zu fahren: Mit vier noch aktuellen Modellen geht es durch die Emilia Romagna und einen Teil der Toskana. Dass die Gegend gerade unter Sturm und Regen leidet, hält uns nicht auf. Auch wenn manchmal Felsbrocken, Blättermassen, ja ganze Bäume auf der Straße liegen und die geplante Route kurzfristig geändert werden muss.
Macht nichts. Denn am Start sind Huracan Evo Spyder, Tecnica, Sterrato und STO. Wir beginnen mit letzterem und der erweist sich sofort als der Huracan für die Bad Boys. Knallhart gefedert reagiert er supersensibel auf Lenkbefehle, Gas geben und bremsen, was kein Wunder ist: Laut Lamborghini kommt das Modell direkt von der Rennstrecke auf die Straße. Mit Einflüssen vom Huracan Super Trofeo EVO und vom GT3 EVO – deshalb auch das Kürzel STO für „Super Trofeo Omologata“. 640 PS treffen hier auf 1.339 Kilo Wagengewicht, was ein Leistungsgewicht von 2,09 Kilo pro PS bedeutet. Dank 565 Newtonmeter maximales Drehmoment gelingt der Sprint in gerade mal drei Sekunden, und wer von 100 km/h voll bremst bis zum Stillstand, schafft das in 30 Metern. Auch optisch stellt der STO etwas Besonderes dar durch deutliches Flügelwerk.
Wir lassen uns nieder in Sportsitzen aus Carbon in einem Alcantara-Interieur. STO-Fahrer wollen racen, deshalb gibt’s kein Gepäckabteil, sondern nur Platz für einen Helm. Der Hintern schleift fast auf dem Asphalt, so tief kauert man in diesem Supersportler. Die Straßen voller Laub, Sand und Steinchen sind allerdings nichts für die knallharte Fahrwerksabstimmung und so hoppeln wir zu den Hügeln von Bologna zum Edelhotel Palazzo di Varignana, um im berühmten „Treno Reale“ zu speisen. Das ist ein Eisenbahnwaggon von 1921. Er steht auf Schienen im Garten des Hotels. Einst gehörte er zum italienischen Königszug, in dem zum Beispiel Prinzessin Maria José mit ihrem Gefolge auf Einladung von Prinz Umberto 1930 von Brüssel nach Rom-Trastevere fuhr. Nach einem architektonischen, philologischen und künstlerischen Sanierungsprojekt wurde ein Waggon zum Speisewagen, um den Geist und die Pracht der legendären Zwanzigerjahre in die Gegenwart zu bringen. Uns wird cremiges Pecorino-Törtchen mit geräucherter Entenbrust und Kürbiskernen, handgemachte Dinkel-Mafaldine mit gesalzener Butter und Rosmarin sowie Kalbsfilet in einer Trüffel-Cardoncelli-Pilzkruste und als Nachtisch gebrannte Creme aus Mandarine und Birne kredenzt, dazu Chardonnay Colli di Imola und Sangiovese Superiore 2021. Wen wundert’s, dass es majestätisch mundet?
Als wir wieder starten, steigen wir in den Tecnica – die purste Huracan-Ausprägung. Der Motor stammt vom Huracán STO, er liefert ein Drehmoment von 565 Nm, was ein Sprint von 0 auf 100 km/h in 3,2 Sekunden ermöglicht. Der Tecnica erfreut mit Hinterradantrieb und Hinterradlenkung. Drei Fahrmodi stehen zur Verfügung – Strada, Sport oder Corsa. „Sport“ sorgt für maximale Fahrspaß durch das verstärkte Übersteuern der Hinterradlenkung, „Corsa“ für eine optimierte, streckenorientierte Gasannahme und die schnellstmöglichen Gangwechsel. Wie alle Lamborghini besitzt auch der Tecnica zuverlässige Carbon-Keramik-Bremsen.


Andrea Bocelli gibt uns die Ehre
Die wir nutzen, um nach herrlich kurvigen Bergstraßen am Villa Campestri Olive Oil Resort zu stoppen. Das Luxus-Resort im Herzen des Mugello produziert und konserviert sein biologisch angebautes Olivenöl selbst und sorgt für einen sinnlichen Blick auf die Degustation des Öls. Man lernt, was „extravergine“ bedeutet und wie man richtig mit den Begriffen „fruttato“, „amaro“ und „piccante“ umgeht. Wir probieren zwei wunderbare Edel-Ölivenöle gegen Industrieware – und danach nie wieder zur Flasche im Discounter zu greifen.
Am Abend wird diniert im gerade restaurierten blassrosa Haus des Tenors, Produzenten und Songwriter Andrea Bocelli. Die 8.000 Quadratmeter große Villa Alpemare an der toskanischen Küste Versilia stammt von 1936 und hatte, nachdem ein Politiker es erbaut hat, viele illustre Menschen zu Gast, zum Beispiel Frank Sinatra. Da Alpemare Bocellis Hauptwohnsitz ist, wenn er nicht auf Tour ist, war es für die Restauratoren von größter Bedeutung, eine Atmosphäre zu schaffen, die sowohl gemütlich als auch familiär ist. Jetzt sind wir staunende Gäste – bei Raviolino „Plin“ mit Lobster und Stracciatella sowie Seebarsch-Filet in „Crazy Water“.
Für den nächsten Tag steht der Huracan Evo Spyder vor der Hoteltür. Allradantrieb, wieder 640 PS, und das Allerbeste: Für den Vormittag ist Sonne angesagt. Also runter mit der Softtopmütze, den Sound eines wildgewordenen Zehnenders hören und ab in die Berge. Bei einem Trockengewicht von gut 1,5 Tonnen erreicht das Auto ein Leistungsgewicht von 2,41 kg/PS, was es leicht macht, die Serpentinen in den Apuanischen Alpen zu erklimmen. Die möglichen 325 km/h sind hier nicht zu machen, aber das wunderbare Sprintvermögen können wir nach jeder Kurve dank übersichtlicher Straße und kaum Verkehr immer mal wieder erleben. Unabhängig davon, ob das Dach geöffnet oder geschlossen ist, können wir die Heckscheibe elektrisch versenken, die normalerweise als Windschutzscheibe fungiert und geöffnet den Saugmotorsound des V10 ins Innere lässt. Das elektrohydraulische Stoffverdeck öffnet sich über einen auf dem Mitteltunnel positionierten Knopf in nur 17 Sekunden bis zu einem Tempo von 50 km/h.


Das Lamborghini-Museum in Sant-Agata
Ziel ist der Marmorbruch Cala Valsora bei Massa in 900 Metern Höhe, wo der berühmte Carrara-Marmor hergestellt wird. Dort erfahren wir, wie das Material abgebaut wird und speisen von einem massiven Marmorblock, der von einem Monster von Gabelstapler gehalten wird, Häppchen und Säfte. So schön kann Abschied sein…
Zurück zum sehenswerten Lamborghini-Museum in Sant-Agata geht’s im Sterrato, von dem nur 1.499 Stück gebaut werden. Das Modell ist die Offroadversion des Huracan. Unmissverständlich der Fahrmodus „Rally“ für Wege mit wenig Grip. Die Bodenfreiheit ist um 44 Millimeter gewachsen im Vergleich zum Huracan Evo. Es gibt einen Unterbodenschutz aus Aluminium, die Lufthutze ist aufs Dach gewandert. Denn dort kommt noch saubere Luft zum Motor, wenn‘s unten nur noch staubt. 610 PS reichen für unsere Zwecke völlig, 260 km/h Spitze und der Sprint in 3,4 Sekunden ebenfalls. Auch optisch überzeugt der Sterrato – unter anderem mit Dachreeling und Zusatzscheinwerfern vorne. Die Reifen sind mit Run-Flat-Technologie ausgerüstet, fahren also auch platt noch 80 Kilometer bei 80 km/h. Auch die Instrumente sprechen Offroad: Mit Kompass, Lenkwinkelanzeige, geografischem Koordinatenanzeiger und Neigungsmesser ist man bestens gerüstet. Wir sind allerdings hauptsächlich froh über die gute Bodenfreiheit, die dafür sorgt, dass wir über die die sturmgeschädigten Straßen nicht nachdenken müssen…
Und dann heißt es: Arrivederci Huracan – Du warst ein toller Begleiter. Krawallschüssel? Langweilig? Kein Reiz? Wir sind uns sicher: So ein Huracan macht seinem Besitzer noch viele Jahre reine Freude. Roland Löwisch

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