Eigentlich standen Offroad-passagen und Wasserdurchfahrten in Island auf dem Programm, um den Land Rover-Freelander-Nachfolger Discovery Sport kennen zu lernen. Doch ein Wintersturm ließ nur den Ritt über vereiste Straßen zu – was schon Abenteuer genug ist.
Wenn man es nicht selbst erlebt hat, kann man kaum glauben, dass ein bisschen Wind und etwas Schnee nahezu den gesamten Verkehr in einer Region Islands lahm legen können. Dabei muss man allerdings bedenken: Wirklich hell ist es im Winter fast nie über Island. Wenn überhaupt, schaut die Sonne mühsam gegen 11 Uhr über einen Bergkamm, um drei Stunden später den erneuten Abstieg zu beginnen. Dunkle Wolken verhindern auch noch den freien Blick. Dann kommt noch der Wind hinzu. Böen mit mehr als 80 km/h wirbeln den leichten Schnee auf, aus echten minus vier Grad werden gefühlt minus 40.
Und die Eiskristalle sind es letztlich, die manchmal eine Fahrt unmöglich machen: Sie fetzen waagerecht über die Straße und verhindern nicht nur den Blick auf den Asphalt oder das festgefahrene Eis auf der Fahrbahn, sondern leider auch auf die gelben Pfosten am Straßenrand. Kurzzeitig ist ab der Hälfte der Motorhaube alles weiß.
Freelander-Nachfolger macht gute Figur
Kein Wunder, dass die vielen Land Rover-Helfer es nicht schaffen, die geplanten Offroad-Tracks befahrbar zu machen – obwohl Land Rover ein neues Modell stets über Stock und Stein jagen lässt, denn schließlich sind Allradantrieb und Geländegängigkeit das Pfund der Marke. So bleibt uns nur, die neuen Gelände-SUVs auf Spikes über die eisigen Straßen nordöstlich von Reykjavík vorbei an den tanzenden Schneewirbeln auf dem Hvalfjörður zu jagen.
Der Discovery Sport hat alles, was ein Land Rover haben muss. Und mit dem Fußgänger-Airbag auch noch mehr.
Unser Auto ist ein Land Rover Discovery Sport SD4. Das bedeutet: Nachfolger des Freelander II mit 190 Diesel-PS, jetzt zweites Modell neben dem großen Discovery in der nun gleichnamigen Markenfamilie, und optisch eindeutig verwandt mit dem sehr erfolgreichen Range Rover Evoque, der – weil kürzer und edler – unter „Range Rover“ firmieren darf. Das muss einen Disco-Sport-Besitzer nicht ärgern, im Gegenteil: Optisch gewinnt der Disco Sport wegen der gewonnenen Gesamtlänge von 24 Zentimetern (Radstand plus fünf Zentimeter) im Vergleich zum fünftürigen Evoque durchaus, technisch sind Evoque und Disco Sport von der Front bis zur Mitte (B-Säule) nahezu identisch.
Unter der Haube des SD4 steckt der 420 Newtonmeter starke, aber aus anderen Modellen bekannte 2,2-Liter-Turbodiesel. Mit Marktstart gibt es das Discoverchen auch als TD4 mit 150 PS und als SI4 mit 240 PS starkem Turbo-Benziner. Der SI4 führt die ebenfalls aus dem Evoque bekannte Neungang-Automatik serienmäßig mit, bei den Dieseln kann man sich die 2.350 Euro Aufpreis sparen, wenn man eine Sechsgang-Handschaltung präferiert. Erst im Herbst ändert sich etwas am Motoren-Einerlei: Dann ist der Discovery Sport mit dem brandneuen 2,0-Liter-Ingenium-Vierzylinder (zunächst in der Dieselversion „eD4“) zu bekommen, der zwar auch 150 PS leisten wird, aber extrem sparsam sein soll.
So rollen wir also vorsichtig und bei dann doch mal zu schnell genommenen Kurven elektronisch geregelt über Islands Nebenstraße Nr. 47 (natürlich vorbei an Elfenfelsen – die Isländer bauen noch heute Straßen um Feldbrocken herum, weil sie glauben, darin wohnen Elfen, die man nicht stören darf). Länge läuft, selbst auf Eis, und es ist fast schade, dass wir den Kofferraum gar nicht benötigen. Der Disco Sport schluckt mindestens 479, maximal 1.698 Liter, das ist mehr als beim Vorgänger und beim Evoque. Aber sein größer Vorteil: Nur beim Disco Sport ist der Einbau einer dritten Sitzreihe möglich, und das bei einer Fahrzeuglänge von (in diesem Falle: nur) knapp 4,6 Metern.
Crossover zwischen SUV und Geländewagen
Tatsächlich ist laut Land Rover ein Siebensitzer ein gutes Verkaufsargument (zur zeitgemäßen Bespaßung der Kids hat sogar jeder Sitzplatz einen eigenen USB-Anschluss). Die zwei zusätzlichen Plätze kosten, je nach Ausstattungsvariante, 1.700 bis 2.300 Euro Aufpreis. Mit den Zusatzsitzen handelt sich der Käufer aber auch mal eben 88 Mehr-Kilo ein. Die Fondpassagiere hocken dann zwar nicht wirklich bequem auf ihren Stühlen (was nicht am optisch abfallendem Dach wie beim Evoque liegt), aber durch die „Theateranordnung“ (zweite Sitzreihe fünf Zentimeter höher als erste, dritte zwei Zentimeter höher als die zweite) fühlt man sich nicht ganz so eingezwängt. Allerdings zeigt ein Blick auf die erlaubte Zuladung, dass die hinteren Sitze tatsächlich nur für Halbwüchsige geeignet sind: Als Fünfsitzer sind 2.505 Kilo erlaubt, als 5+2-Sitzer 2.600 Kilo. Also dürfen die beiden Passagiere ganz hinten nicht mehr als zusammen 95 Kilogramm wiegen, was im Schnitt schlanke 47 Kilogramm pro Kind bedeutet. Trotzdem rechnet Land Rover damit, dass immerhin etwa ein Viertel aller Disco Sport als Siebensitzer geordert werden.
Um den Platz für sieben Sitze auf so wenig Fahrzeugfläche zu erreichen, haben die Ingenieure die Hinterachsfederung völlig neu gestaltet. Apropos Federung: Trotz vereister Straßen und Nägeln in den Reifen, die sich sehr effektiv in das vereiste Wasser auf den Straßen krallen, ist fühlbar, dass die Federung im Disco Sport wesentlich komfortabler ausgelegt ist als im eher straffen Evoque. Auch dadurch wird die angesprochene Klientel klar definiert: Menschen, die einen praktikablen Crossover zwischen SUV und Geländewagen brauchen (oder wollen) für den Alltag aktiver Familien.
Stoisch rollen wir dahin, das obligatorische Terrain-Response-System auf Stellung „Gras/Schotter/Schnee“. Dass der Federweg 230 Millimeter beträgt, wissen wir, was das im Gelände bedeutet, können wir nur ahnen. Ebenso ist das bei der Wattiefe von 600 Millimeter (100 mm mehr als beim Evoque), und zu gern hätten wird das „Wade Sensing“-System (350 Euro Aufpreis) ausprobiert: Ultraschallsensoren in den Außenspiegeln ermitteln bei der Wasserdurchfahrt die Wassertiefe und senden das Ergebnis an den Touchscreen-Monitor. Das System kann ab 20 Zentimeter Wassertiefe aktiviert werden, es schaltet sich bei mehr als 30 km/h selbstständig wieder ab. Die Eisdicke auf der Straße erkennt es allerdings noch nicht.
Island ist ganz anders – und ganz besonders.
Apropos Dicke: Obwohl sich Land Rover beim Disco Sport um Leichtbau bemüht hat (die Motorhaube wiegt nur 8,2 Kilo, das Dach 8,7 Kilo, die Heckklappe sieben Kilo, der Armaturenbrettträger aus Magnesium ist um 6,5 Kilo leichter als einer aus Stahl), wiegt das Auto knapp 1,8 Tonnen. Immerhin garantiert uns die Masse, vom isländischen Sturm nicht von der Straße gefegt zu werden.
Innen wirkt der neue Landy angenehm aufgeräumt und übersichtlich. Gut (und fast überfällig) ist das neue Multimedia-System – auch wenn das Navigationssystem in unserem Testwagen keine Island-Karte hinterlegt hat. Per Touchscreen geht es durchs Menü, und man muss für die Grundfunktionen nicht erst ein fettes Handbuch wälzen. Ebenfalls gut ist die Idee mit dem „Fußgänger-Airbag“: Er entfaltet sich bei Tempi zwischen 24 und 48 km/h unterhalb der Windschutzscheibe, um den Kopf eines eventuell angefahrenen Fußgängers vor einem zu heftigen Aufprall zu schützen. Das bietet die Konkurrenz in diesem Segment bislang noch nicht.
Der Preis startet bei 34.400 Euro
Wegen besserer Ausstattung und als neue Konstruktion sind die Preise natürlich höher als zuletzt beim Freelander, aber niedriger im Vergleich zum Evoque. Zurzeit starten sie bei 34.400 Euro für den TD4 mit Sechsgang-Schaltgetriebe. Die stärkere Selbstzündervariante SD4 kostet schon 41.000 Euro, der Benziner SI4 schlägt mit min-destens 43.500 Euro zu Buche (nur mit Automatik zu haben), mit der Top-Ausstattung „HSE Luxury“ werden daraus dann schon 54.550 Euro. Alle Ver-sionen sind zurzeit Allradler.
Mit Spannung erwartet dagegen wird die erste echte Bewährungsprobe, die der Disco Sport samt Ingenium-Motor im September in Australien bestehen muss. Dann nämlich werden brandneue, allradgetriebene Disco Sport auf die Land Rover Experience Tour 2015 geschickt, die diesmal ins Outback durch das Northern Territory führt. Dort müssen sie Passagen bezwingen, bei denen schon der große Namensvetter Discovery mächtig gefordert ist…
Land Rover Discovery Sport SD4 SE
- Motor: Vierzylinder-Turbodiesel
- Hubraum: 2.179 ccm
- Leistung: 190 PS (140 kW) bei 3.500 U/min
- Antrieb: Allrad
- Max. Drehmoment: 420 Nm bei 1.750 U/min
- Gewicht: 1.775 kg
- Radstand: 2.714 mm
- Getriebe: Neungang-Automatik
- Länge/Breite/Höhe: 4.599/2.069/1.724 mm
- Top-Speed: 188 km/h
- Verbrauch: 6,3 l
- Beschleunigung: 0-100 km/h in 8,9 sec
- CO2-Emissionen: 166 g/km
- Grundpreis: 43.350 Euro
Text: Roland Löwisch
Fotos: Land Rover, iStockphoto