20 Jahre Bentley Continental

Lange Jahre war Bentley nur die nicht ganz so schöne Schwester von Rolls-Royce. Doch dann kam VW, hat den Laden auf eigene Füße gestellt und mit dem Continental die Luxuswelt aus den Angeln gehoben. Das ist jetzt genau 20 Jahre her – und die nächste Revolution ist schon wieder geplant. 

FAT-Chef Adam liebt besonders die offene Variante des Continental GT, was gibt es Schöneres als der Sonne entgegen zu fahren.

Begonnen hat angeblich mal wieder alles mit einer Serviette. Denn viel mehr als eine einfache Skizze hat Ferdinand Piëch nicht gebraucht, um seine Vision für Bentley zu skizzieren. „Die hat er mir in die Hände gedrückt, als er die Marke zu VW geholt hat“, erinnert sich Adrian Hallmark, der damals zum Chef berufen wurde in Crewe und nach einer kurzen Auszeit jetzt dort wieder seit fünf Jahren wieder das Sagen hat. Weil er Rolls-Royce an BMW verloren hatte, wollte er ein Über-Auto auf Basis des Phaeton und in kürzester Zeit von damals gerade mal 414 auf 10.000 Einheiten kommen, beschreibt Hallmark die Servietten-Strategie. Und als wäre das nicht schon unmöglich genug, hatten die Briten dafür nur vier Jahre Zeit und ein Budget von 500 Millionen.
Die Basis hat Hallmark übernommen, den Zeitplan und die Ziele auch – nur beim Konzept hat er einen anderen Weg eingeschlagen. „Dass wir Luxus können, das haben wir mit Arnage & Co an der Seite von Rolls-Royce bewiesen. Aber dass wir auch sportlich sind, das war seit den Zeiten der Bentley Boys und ihrer Blower ein wenig in Vergessenheit geraten.“ Die sportliche Seite wiederzubeleben, das Segment zu verjüngen und die Marke für größere Stückzahlen obendrein ein wenig erreichbarer zu machen, war sein Plan und das Auto dafür sollte so vornehm sein und so komfortabel wie ein Rolls Royce aber so schnell wie ein Porsche Turbo – und mit einem Preis von 110.000 Pfund sogar 40 Prozent billiger als der damals übliche Bentley: „Wir wollten den ultimativen Gran Turismo“, skizziert er das Briefing für ein Auto, das als Showcar im September 2002 auf dem Pariser Salon stand und als Bentley Continental GT im März 2003 auf dem Genfer Salon seinen Einstand gegeben hat.

Der Continental GT Speed präsentiert sich in einem sportlich-eleganten Look. Nahezu alle normalerweise verchromten Details am Exterieur – einschließlich des Kühlergrills – sind in einem dunklen Farbton gehalten.


„Und die Die Rechnung ist aufhängen“, freut sich Hallmark: „Ja, wir haben das Preisziel um ein paar tausend Pfund verfehlt“, räumt er ein. „Aber wir haben schon zwischen Paris und Genf 3.200 Bestellungen bekommen, im ersten vollen Jahr über 6.000 Einheiten verkauft und im vierten Jahr tatsächlich die Vorgabe von 10.000 erreicht,“ Ja, dafür hat es auch das Cabrio und den viertürigen Flying Spur sowie den V8 gebraucht. „Aber in einem Segment, dem vor dem Continental keine 3.000 Fahrzeuge pro Jahr verkauft wurden, war das schon eine Leistung“, ist Hallmark stolz und zugleich ein wenig enttäuscht vom Patriarchen Piech. Denn einen Dank oder eine Anerkennung hat Konzernchefs hat es dafür nie gegeben. „Das war einfach nicht seine Art.“
Wer 20 Jahre später noch einmal mit ersten Continental auf Tour geht, der kann seinen Erfolg nachvollziehen: Ja, die Navigation ist mittlerweile arg antiquiert und das gesamte Infotainment verglichen mit den auf einer Drehwalze installierten Instrumenten der aktuellen Generation ein wenig verstaubt. Und die Musikanlage klingt heute wie eine alte Kassette, die der Besitzer in seiner Jugend beim Radiohörern mitgeschnitten hat. Doch die Kombination als dickem Leder und satter Leistung ist noch immer unerreicht. Pfundschwere Aschenbecher, aus dem vollen gefräste Luftausströmer, knöcheltiefe Teppiche und Sessel, die eher Fauteuils sind als Sitze – alles an diesem Auto schmeckt nach Überfluss und lässt eine S-Klasse oder einen Audi A8 vergleichsweise bürgerlich wirken.
Und wenn auch nur ein Schatten aufs Gaspedal fällt, klinkt sich der Motor ein und zum Überfluss kommt noch der Übermut: Denn dann erwacht ein sechs Liter großer Zwölfzylinder, der nach heutigen Maßstäben noch ziemlich frei sein Lied von der Lust an der Leistung singen darf und deshalb ganz und gar unstandesgemäß aufbrüllt. Ja, das in W-Form konstruierte – und dafür natürlich auf einer Serviette skizzierte Aggregat – gab es auch im Phaeton, im A8 und später sogar im Touareg und im Q7. Aber weil der W12 in Crewe mit zwei Turboladern bestückt wurde, stieg die Leistung auf 560 PS, und das maximale Drehmoment erreichte der GT erst bei 650 Nm. Damit beschleunigt die Luxus-Flunder in 4,8 Sekunden auf Tempo 100. Und wenn es sein muss, geht der Flotte Vierer bis 330 km/h. Dazu gibt es ebenfalls mit freundlichen Grüßen aus Wolfsburg erstmals bei Bentley Allradantrieb, ein variables Fahrwerk mit elektronischer Regelung sowie eine sechsstufige Automatik mit Schaltwippen am Lenkrad. Ein paar Serpentinen reichen – dann brennt das alte Feuer wieder, unter dem Frack sammelt sich der Schweiß und das Dickschiff fliegt über die Landstraße, als ginge es nach Le Mans, wo Bentley sein Comeback nach 73 Jahren 2003 zum Debüt des Continental mit einem Sieg krönte.

Die Anzeigen auf der Instrumententafel wurden passend zum Design des Automobils gestaltet.

Zwar fährt der Continental GT mittlerweile in der dritten Generation, sieht besser aus denn je, kombiniert Hightech und Handwerkskunst noch freudvoller, sein von Grund auf erneuerter Zwölfzylinder bringt es jetzt auf bis zu 659 PS und mit einer Hinterachslenkung kommt er jetzt noch besser ins Eck. Doch auch wenn er mittlerweile auf die 100.000er Marke zusteuert, hat er seine Rolle als Bestseller mittlerweile abgegeben an den Bentayga. Denn genau wie bei Rolls-Royce, bei Porsche oder bei Lamborghini ist jetzt auch bei Bentley das erste SUV das meistverkaufte Auto.
Macht nichts, sagt Hallmark, der am Bentayga schließlich mindestens genauso viel verdient und dort sogar schon erste elektrische Erfahrungen mit einem Plug-in Hybriden sammeln kann: Schließlich hat der Continental GT seine Schuldigkeit getan, Bentley von Rolls-Royce emanzipiert und die Marke zurück zu ihren Wurzeln geführt.
Außerdem steht 20 Jahre nach der Wiedergeburt unter VW-Regie bereits die nächste Zeitenwende an – auch Bentley bereitet den Start seines ersten reinen Elektromodells vor. Die Pläne dafür hat Hallmark längst in der Schublade und mit Piechs Nach-Nachfolger Oliver Blume abgestimmt. Ob es dafür wieder eine Serviette brauchte, ist allerdings nicht bekannt.

Sechzehn Außenfarben stehen zur Auswahl, darunter das neue
Topaz Blue, ein intensives Metallic-Türkis.

Fotos: Bentley / www.bentleymotors.com

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