Bei der Diskussion, welches Auto das erste SUV war, scheiden sich die Geister. Tatsächlich kann man diese Auszeichnung für verschiedene Modelle gelten lassen – oder für keines. Wahrscheinlich haben viele verschiedene ihren Teil zur Erfolgsstory der modernen Sport Utility Vehicle beigetragen.
Es war der Hammer. Der Mann auf dem Messestand hielt eine kurze Rede, die mit den Worten endete: „Und hier das weltweit erste SUV, eine von uns erfundene Fahrzeuggattung. Ein geländegängiges Auto mit dem Fahrkomfort einer Limousine. Kein Leiterrahmen, sondern eine selbsttragende Karosserie. Einzel-radaufhängung, Allradantrieb. Höher als normale Autos, aber nicht so brachial wie ein reiner Geländewagen. Im Innenraum variabel. Kurz: Ein Auto für Sport, Arbeit und Freizeit – eben ein Sportnutzfahrzeug…“ Und dann, endlich, zog er mit großer Geste das Tuch vom…“
Wurden SUVs „erfunden“?
Wahrscheinlich hätte heute jeder SUV-Hersteller gerne diese Geschichte in seinen Annalen – allerdings ist sie schlicht gelogen. Denn Sport Utility Vehicle haben sich entwickelt und wurden ausnahmsweise mal nicht „erfunden“. Zeit, sich auf die Suche nach den Ursprüngen zu begeben.
Wie so vieles kamen die ersten Modelle aus Amerika
Die liegen – man glaubt es kaum – in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und zwar in Amerika, wo das Transportaufkommen zur Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ständig stieg und die ersten Hersteller „Station Wagons“, also Kombis, ersannen. Bald verpflanzten sie solche Pkw-Karosserien auf die Chassis kleiner Trucks. 1934 brachte Chevrolet den einst für die Armee erdachten „Carryall-Suburban“ auf den Markt, mit Stahl-Kombikarosserie auf Truck-Fahrgestell. Die Werbung versprach den optimalen „Transport von Personen und Material unterschiedlichster Lasten“ und Variabilität dank „schnell auszubauender Sitze“. Allradantrieb erhielt das Modell erst 1956, nachdem Konkurrent Dodge mit seinen allradgetriebenen Pick-ups Furore machte. Somit könnte man durchaus den Chevy Carryall-Suburban als weltersten SUV bezeichnen.
Oder war es doch ein Jeep?
Am 27. Juni 1940 gab das „Quartermaster Corps Ordonance Technical Commitee“ ein Lastenheft für ein neues Militärfahrzeug heraus, das dringend für die Armee benötigt wurde. Die Eckdaten: Allradantrieb, drei Sitzplätze, Maschinengewehr-Halterung, Leergewicht rund 600 Kilogramm, Radstand 2.032 Millimeter, Höhe 915 Millimeter, Spurweite 1.194 Millimeter, Bodenfreiheit 165 Millimeter und Zuladung 275 Kilogramm. Fahrtempo: fünf bis 80 Stundenkilometer. Anzubieten war ein erstes Los über 70 Autos für den Preis von insgesamt 175.000 Dollar. Das erste Auto musste nach 70 Tagen bereitstehen. Die anderen 69 Stück – inklusive acht Stück mit Vierradlenkung – 26 Tage später.
Noch während des Zweiten Weltkrieges wurde eine zivile Variante entwickelt
Eine Jury favorisierte letztlich den Bantam BRC, gebaut von der American Bantam Car Company. Allerdings war das Militär nicht überzeugt von dem Wagen und ermunterte andere Firmen, auch Willys-Overland und Ford, weiterzumachen. So begann Willys-Overland mit dem Bau des berühmten Jeep. Und noch während die USA in Europa kämpfte, entwickelte Willys den Jeep weiter zum Zivilistenauto – und vermarktete ihn als CJ (Civilian Jeep): 2,2-Liter-Benziner, 60 PS, Allradantrieb per Vorschaltgetriebe aktivierbar. Als Kombi mit dem Namen „Jeep Station Wagon“ (als noch mehr Freizeit orientiertes Cabrio „Jeepster“ genannt, sogar als erster Allrad-Pkw mit Automatikgetriebe erhältlich) wurde er ebenfalls zum Urahn aller SUVs. Und daraus entstanden zunächst 1962 der Wagoner („…ein Pkw mit all den Vorteilen eines Allradantriebes…“) und später der Jeep Cherokee.
Text: Roland Löwisch
Fotos: Chevrolet Europe, Daimler AG, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, FCA Germany AG, FCA US LLC., Land Rover Deutschland, Toyota Deutschland GmbH, Volvo Car Group