Der Mythos Audi quattro

Fahren wie ein Weltmeister

Text: Renate Freiling Fotos: Audi AG, Renate Freiling

Das waren noch Zeiten, damals – und sie sind es noch! Vor gut 40 Jahren debütierte Audi mit dem Ur-quattro. Bis heute setzt der Ingolstädter Hersteller auf den Allradantrieb, der in der e-tron-Baureihe als „Torque Vectoring“ mit Einzelradsteuerung fortgeführt wird. Auf dem historischen Asphalt zwischen Col de Turini und in San Romolo trafen die jüngsten quattro-Modelle auf ihre Urahnen und ehemalige Weltmeister.

Er ist ein Mythos, der Audi quattro. Seit seinem Erscheinen 1980 fasziniert er Oldtimerbegeisterte ebenso wie Autofans der jüngeren Generationen. Zu seinem Weltruhm haben die Rallye-Helden der damaligen Epoche beigetragen, die zwischen 1982 und 1984 zwei Marken- sowie zwei Fahrertitel mit dem „Ur-quattro“ in der Rallye-Weltmeisterschaft einfuhren. Der legendäre Werbespot, in dem ein Audi 100 CS quattro mit Rallye-Profi Harald Demuth am Steuer eine Skischanze hinaufklettert, brachte die überzeugende Leistung des permanenten Allradantriebs auf den Punkt. 

„Der quattro-Antrieb lässt mich bis heute nicht los“, sagt Fabrizia Pons, 66. Die sportlich wirkende Italienerin steht vor neben einem historischen Audi Sport quattro S1 und erzählt Sebastian Grams, dem Geschäftsführer der Audi Sport GmbH, einige Anekdoten aus ihrer Rallye-Karriere. Audi Sport hat die berühmte Co-Pilotin von Michèle Mouton und damit ehemalige Vize-Weltmeisterin zu einer Art Gipfeltreffen – mit automobilen Meilensteinen und Motorsport-Helden – auf den französischen Col de Turini eingeladen. Der 1607 Meter hohe Berg ist weltberühmt für die Austragung einer berüchtigten Etappe der Rallye Monte Carlo: der Nacht der langen Messer. Wo, wenn nicht hier, kommen die Erinnerungen an die legendären Rallyes der vergangenen Jahrzehnte in den Seealpen zurück.

Das Audi-Werksteam war wie eine Familie

1981 waren Mouton und Pons bei der Rallye Sanremo, deren Bergstrecken nur wenige Kilometer entfernt in den italienischen Seealpen liegen, in einem Audi quattro durch den Zielbogen geschossen, danach sprangen die Frauen in voller Montur in den Pool des Hotel Royal in Sanremo. Erstmals hatte ein weibliches Team den Weltmeisterschafts-Lauf der Rallye-WM gewonnen. Die beiden fuhren weiter quattro, 1982 wurden sie Vize-Weltmeisterinnen. 1984 siegte das französisch-italienische Dreamteam im Sport quattro in der Open Rally Class beim US-amerikanischen Bergrennen am Pikes Peak, Stig Blomquist gewann die Rallye-WM. „Für mich war es ein Geschenk, zu sehen, wie gut und wie energisch Audi dieses Konzept entwickelt und vorangetrieben hat und diesen Weg unbeirrt weitergegangen ist“, sagt Fabrizia Pons, während auf der Terrasse gegenüber die Chefin des Hotel des Trois Vallée Walter Röhrls angeblichen Lieblings-Blaubeerkuchen serviert. Fünf Jahre lang gehörten Mouton und Pons zum Werksteam von Audi, das für sie wie eine Familie war. Auch Walter Röhrl und sein Co-Pilot Christian Geistdörfer gehörten damals dazu. 

Der ehemals von Röhrl gefahrene Audi quattro S1 weckt bei Fabrizia Pons und Sebastian Grams sichtlich Emotionen. „Die Erfolge von damals sind für den quattro von heute und insgesamt für die Position der Marke Audi unbezahlbar“, sagt er. „Die Siege und Titel haben die Zeit überdauert und nicht nur die Strahlkraft des quattro-Antriebs begründet, sondern sind Symbol für unsere Denkweise, für das Erbgut von Audi.“ In der Tat hat die Kombination von Fünfzylinder-Motor mit permanentem Allradantrieb einen eigenen Mythos geschaffen. Der Klang des Motors, den die Zündfolge 1-2-4-5-3 hervorbringt, ist einzigartig. Ebenso wie der Allradantrieb gilt der Fünfzylinder bis heute als eine der prägnantesten technischen Entwicklungen, die ein Automobilhersteller je hervorgebracht hat. Diese Konzepte fortzuführen, ist daher eine naheliegende Konsequenz.

Gefühlte Rallye Monte Carlo im Audi RS 3

Nicht nur Rennfahrer Frank Stippler dreht im aktuellen Fünfzylinder-Modell RS 3 auf dem Col de Turini Runden für Mitfahrer, auch Vorgängermodelle wie der erste Audi 200 quattro und ein Audi quattro B2 treten für Selbstfahrer zum Vergleich an. Egal, ob beim Beschleunigen oder bei abruptem Bremsen, die Klassiker haben Biss und Grip, selbst auf nassem Asphalt. Doch zwischen einem Audi 200 und einem RS 3 liegen Welten. „Dass er überhaupt nicht untersteuert, ist faszinierend“, sagt Frank Stippler, der auf dem Nürburgring mit dem Modell kürzlich einen Bestwert im Kompaktsegment eingefahren hat, bei einer Mitfahrt. Sicher und fast wie auf Schienen lenkt Stippler den RS 3 Sportback mit einer enormen Geschwindigkeit die Serpentinen hinab und lässt den Wagen mindestens ebenso schnell wieder hinaufklettern. Selbst Feuchtigkeit, nasses Laub und aufgespülter Schlamm werfen ihn nicht aus der Bahn, die Traktion ist beeindruckend.

Zurück am Hotel des Trois Vallées steht Sebastian Grams vor einem Präsentationsmodell des quattro Antriebs, der Fahrdynamik, Fahrstabilität, Traktion und Sicherheit vereint, während sein Kollege die Funktion erklärt: Beim neuen Audi RS 3 kommt der permanente Allradantrieb quattro mit RS Torque Splitter zum Einsatz. Er verfügt über zwei elektronisch geregelte Lamellenkupplungen, die mit jeweils einer Antriebswelle der Hinterachse verbunden sind. Das System verteilt die Antriebsmomente variabel zwischen Vorderachse und den beiden Hinterrädern. Bei sportlicher Fahrweise, so wird erklärt, erhöht der Torque Splitter das Antriebsmoment auf das kurvenäußere Hinterrad mit

der höheren Radlast, was die Neigung zum Untersteuern deutlich reduziert. Das sorgt für optimale Stabilität und maximale Agilität – insbesondere bei Kurvenfahrten mit hohen Geschwindigkeiten.

In diesem Sinne steigen am Ende des Tages Fabrizia Pons, Sebastian Grams und die anderen Gäste der Audi Sport GmbH in ihre Audi quattro TT, RS oder RS Q3 und steuern als Ziel das Hotel Royal Sanremo an, das in den 1980er Jahren als gesellschaftliches Zentrum der Rallye Sanremo diente. Von dort aus hatte man, erzählt Fabrizia Pons, immer einen schönen Blick auf die Boliden, die unterhalb auf einem am Meer gelegenen Parkplatz abgestellt waren. 

Asphaltprüfungen der Rallye Sanremo

Ein weiterer Gipfel des Treffens steht am nächsten Tag bevor. Der Rallye-Weltmeister 1984, Stig Blomqvist, ist vor dem Ristorante Dall‘ Ava in San Romolo schon früh am Audi S1 zugange, um sich für die Mitfahrten der Audi-Gäste vorzubereiten. Von einer Innenausstattung kann beim Rallye-S1 mit fast 600 PS keine Rede sein. Eine Blechhülse mit Plastikscheiben, Überrollbügel, zwei Schalensitze, ein Lenkrad, Schaltknüppel und Fahrersitz. Der Drehzahlmesser im kantigen Armaturenbrett macht den Tachometer überflüssig. 

Am Audi Quattro S1 ist kein Gramm zu viel, er muss sitzen wie eine zweite Haut. „Das manuelle Schalten gehört für mich dazu, damals war an Schaltwippen noch nicht zu denken“, sagt der Schwede und schließt die Tür des bereits laut röhrenden S1. Trotz seines Alters von 75 Jahren ist Stig Blomquist noch immer mit Herzblut Rallye-Fahrer und ist des Öfteren bei historischen Veranstaltungen anzutreffen. „Ich habe immer noch viel Spaß, ein bisschen Wettbewerb muss sein“, sagt er und tritt beherzt aufs Gaspedal. „Bei der Rallye Sanremo kenne ich wirklich jeden Zentimeter, eine fantastische Strecke.“ Doch Wettbewerb soll es heute nicht sein, sondern sportliches Fahren mit Krawall. 

So fliegt und rutscht der S1 um die engen Kurven, vorbei an steilen Abgründen auf der einen Seite und scharfkantigen Felsvorsprüngen auf der anderen. Blomquist konzentriert sich ganz auf den Wagen, die Kombination von Bremsen und Gas geben und den richtigen Schaltzeitpunkt. Der Sound ist ohrenbetäubend und wird begleitet vom Geruch des Motors: Benzin, Öl, Abgase. Das ist es also, das Rallye-Gefühl, das bereits vor 40 Jahren den Puls schneller schlagen ließ und dies heute noch bei Oldtimer-Rallyes tut, zumindest in Maßen. Die Rallye Sanremo, erstmals ausgetragen in 1928, zählte ab 1973 zu den Weltmeisterschafts-Läufen der Rallye-WM. Seit Blomquist 1984 Weltmeister wurde, ist er dem Auto emotional verbunden, ebenso wie mit der Audi-Familie. 

Zurück im Fahrerlager am Ristorante Dall‘ Ava setzt sich Fabrizia Pons gern zu ihrem Kollegen ins Cockpit. „San Romolo ist das Herz der Asphaltprüfungen auf der Rallye Sanremo. Ich liebe diese Rallye und habe die schönsten Erinnerungen ans sie.“ Pons fährt heute ohne Aufschrieb – dem Gebetbuch der Co-Piloten bei Langstreckenrallyes, und vermutlich kennt sie die Strecke sowieso wie ihre Westentasche. 

Umstieg in die Zukunft

Mit viel Getöse und lachenden Gesichtern kehren die Stars zurück von der Bergstrecke, sicher haben sie sich über vergangene Zeiten unterhalten. Denn Fabrizia Pons und Stig Blomquist waren dabei, als der quattro noch neu und abenteuerlich war. Doch vorbei ist die Erfolgsgeschichte des quattro nicht, im Gegenteil. Bis dato hat Audi rund 11,8 Millionen Autos mit Allradantrieb verkauft. Der quattro Antrieb ist Tradition und Marken-DNA, er hat sich sowohl im Motorsport als auch in der Serienproduktion etabliert. Kein Wunder also, dass Audi mit dem permanenten Allradantrieb auch schon in die Zukunft eingestiegen ist, die E-Mobilität.

Pons und Blomquist schauen sich den neben dem Audi Sport quattro S1 stehenden Audi e-tron GT interessiert an. Sie sind noch nicht vertraut mit der E-Mobilität, doch beide wagen den Vergleich und steigen ein. „Eines ist klar: Der S1 ist als Rallyefahrzeug konzipiert worden, der RS e-tron GT ist ein Serienfahrzeug – doch beide Autos nehmen sich auf der Strecke erstaunlich wenig, bedenkt man ihre Grundkonzepte“, sagt Stig Blomquist nach seiner Fahrt im Audi RS e-tron GT. Ein Rallyeauto für Jedermann also? Immerhin kann es vieles von dem, was den S1 ausmacht – allerdings ohne Lärm und mit eingebauter Sicherheit. Wer die Beschleunigung liebt, kann sich in diesem GT in 3,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h befördern und versuchen zu fahren wie ein Weltmeister im Rallye-Klassiker S1. 

Auch Fabrizia Pons ist beeindruckt von ihrer Fahrt im RS e-tron GT, ihrer ersten Fahrt in einem Elektroauto überhaupt. Während sich einige Teilnehmer dem Mittagessen im Ristorante Dall`Ava zuwenden, lässt sie sich erst einmal die Funktionsweise erklären. „Der elektrische Allradantrieb regelt permanent und vollvariabel die ideale Verteilung der Antriebsmomente zwischen beiden Achsen – und zwar innerhalb von Sekundenbruchteilen. Für die besonders leistungsstarken Modelle mit der Wandlerautomatik tiptronic steigert ein Sportdifferenzial die Fahrdynamik, die Traktion und die Stabilität, indem es die Antriebsmomente in allen Betriebszuständen ideal zwischen linkem und rechtem Hinterrad verteilt“, erläutert der Audi-Experte. Er ist in seinem Element und wirkt ebenso engagiert wie Fabrizia Pons, wenn sie von damals erzählt. Schließlich verbindet alle Beteiligten ein und dieselbe Faszination, egal ob mechanisch oder elektrisch: der Mythos quattro. 

Technische Daten (vorläufig)Audi e-tron GTAudi RS e-tron GT
Antrieb2 Elektromotoren, 350 kW (476 PS), Boostleistung 390 kW (530 PS), 630 Nm, Allradantrieb2 Elektromotoren, 440 kW (598 PS), Boostleistung 475 kW (646 PS), 830 Nm, Allradantrieb
Fahrleistungen0 – 100 km/h in 4,1 Sek.,  245 km/h Spitze 0 – 100 km/h in ca. 3,3 Sek.,  250 km/h Spitze 
Batterie (netto/brutto)85 kWh / 93 kWh, 800 Volt Spannungslage85 kWh / 93 kWh, 800 Volt Spannungslage
AC-Ladeleistung11 kW, 22 kW optional11 kW, 22 kW optional
DC-Ladeleistungbis zu 270 kWbis zu 270 kW
Verbrauch21,6 – 19,9 kWh/100 km, lokal emissionsfrei22,5 – 20,6 kWh/100 km, lokal emissionsfrei
Reichweite487 kmk. A.
MaßeL 4,99 / B 1,96 / H 1,41 mL 4,99 / B 1,96 / H 1,41 m
Kofferraum hinten / vorne405 l366 l
Preis99.800 €138.200 €
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